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Aktuelle geldpolitische Herausforderungen

Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB, Auf der 17. Euro Finance Week,Frankfurt, 17. November 2014

Sehr geehrter Herr Maleki,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

es vergeht inzwischen kaum ein Tag, an dem der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht neue Ratschläge angedient werden, was, wie viel und woher wir alles ankaufen sollen, um die Wirtschaftsschwäche des Euroraums ein für alle Mal zu überwinden. Sehr oft schwappen sie in Wellen von jenseits des Ärmelkanals oder des Atlantiks zu uns herüber. Und in aller Regel sind die Ratschläge auch gut gemeint. Diese Empathie freut uns natürlich. Ich würde mir jedoch manchmal wünschen, dass diese wohlwollenden Ratschläge mit fundierter Sachkenntnis über die institutionellen und rechtlichen Grenzen der EZB sowie die ökonomischen Besonderheiten des Eurogebiets unterfüttert wären. Insofern bin ich für jede Gelegenheit dankbar, dass eine oder andere Missverständnis auszuräumen.

Der Referenzpunkt unseres Handels ist fix: die Geldpolitik der EZB orientiert sich immer an unserem Preisstabilitätsmandat.

Alle unsere geldpolitischen Maßnahmen zielen darauf ab, dieses Ziel zu erreichen. Und wenn unser vorrangiges Instrument, der Leitzins, am unteren Ende seiner Wirkungsskala angelangt ist, müssen wir auf unkonventionelle Maßnahmen zurückgreifen. Allerdings können gerade unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen mittel- bis langfristig auch unerwünschte Nebenwirkungen haben, wenn wir sie zu lange, zu aggressiv oder zu umfangreich ausführen. Deshalb haben wir nicht nur im Blick, inwiefern unsere Maßnahmen hier und heute unserem Preisstabilitätsmandat gerecht werden, sondern stellen uns immer auch die Frage möglicher Langfristfolgen und Kollateralschäden.

Führen Ankaufprogramme zu finanzieller Dominanz?

Die Inflation im Euroraum ist weiterhin außergewöhnlich niedrig; die wirtschaftliche Erholung hat eindeutig an Schwung verloren. Deshalb haben wir im Juni und September weitere Maßnahmen zur Kreditlockerung oder credit easing beschlossen, die wegen der aufwendigen Vorbereitungsarbeiten erst in diesen Wochen umgesetzt werden. Dazu gehören unter anderem zwei Ankaufprogramme. Seit knapp einem Monat kaufen wir gedeckte Schuldverschreibungen. Diese Woche beginnen wir, ein breites Portfolio einfacher und transparenter Kreditverbriefungen ( asset-backed securities, ABS) aufzukaufen.

Ziel dieser Kaufprogramme ist, den Kreditfluss in die Realwirtschaft zu fördern. Es handelt sich um klassische credit easing Maßnahmen. Zwar erwarten wir, dass sich im Zuge dessen, unsere Bilanz ausweiten wird. Ein Bilanzziel verfolgen wir indes nicht, da ein Grossteitl unserer Liquiditätsschöpfung nach wie vor von der Banknachfrage abhängt.

Manch einem mag ob ABS-Ankäufen seitens der Zentralbank unbehaglich werden, weil er sich an die hohen Ausfallraten von immobilienbesicherten Verbriefungen in den USA erinnert. Die Gefahr von Verbriefungen von Verbriefungen von Verbriefungen, die mit undurchsichtigen, komplexen Kreditstrukturen minderer Qualität unterlegt sind, ist in der Tat nicht zu unterschätzen.

Wir kaufen allerdings nur ABS, die auch im Rahmen unserer regulären Refinanzierungsgeschäfte als Sicherheiten hinterlegt werden können. Diese müssen einen engmaschigen Risiko-Management-Filter passieren. Dieser stellt übrigen auch die Basis dar für das zukünftige Hochqualitätssiegel europäischer Verbriefungen, die im Finanzregelwerk anerkannt werden sollen.

Es handelt sich dabei um einfach strukturierte Verbriefungen, die mit Krediten an die Realwirtschaft besichert sind. Solch simple und transparente ABS haben selbst während der Krise nur sehr geringe Ausfallraten verzeichnet, vor allem in Europa. Entsprechend schätzt die Ratingagentur Fitch die Ausfallwahrscheinlichkeit der Papiere, die für uns in Frage kommen, sehr gering ein. Ein Portfolio, das vor Ausbruch der Krise unseren heutigen Kaufkriterien entsprochen hätte, hätte – so Fitch – in seiner gesamten Laufzeit zu einem Kreditverlust von weniger als 0.001 Prozent geführt. [1]

Von diesen Papieren kaufen wir auch nur die sicheren „Senior“-Tranchen. Wir meiden also die Eigenkapitaltranchen. Und Mezzanine-Tranchen würden wir nur mit entsprechenden Garantien in Betracht ziehen.

Übrigens: Pfandbriefe oder Covered Bonds - das Objekt unseres zweiten Kaufprogramms - haben eine Ausfallhistorie von Null.

Jeder Kauf eines Wertpapieres (oder Edelmetalls oder Fremdwährung) erhöht natürlich das theoretische nominelle Ausfallrisiko des Käufers. Das effektive ökonomische Risiko, dass das Eurosystem mit den Ankaufprogrammen eingeht, ist jedoch begrenzt und wird von strengen Vorsichtsmaßnahmen begleitet.

Würden wir riskantere Wertpapiere kaufen und auf Vorsichtsmaßnahmen verzichten, würden wir uns dem Vorwurf aussetzen , dem Privatsektor gezielt schlechte Kreditrisiken abzunehmen und es auf die Zentralbankbilanz zu übertragen. Dafür haben wir kein Mandat.

Außerdem: Wenn die Zentralbank eine „bad bank“ Funktion übernimmt, indem sie die Bilanzen ihrer Geschäftspartner von hochriskanten Positionen befreit, riskiert sie in eine Situation der finanziellen Dominanz zu geraten, in der die Geldpolitik nicht mehr die Oberhand behält. Angesichts der hohen Risiken in ihrer eigenen Bilanz könnte sie sich gezwungen sehen, ihre Geldpolitik weiter zu lockern – unabhängig davon, ob das aus geldpolitischer Sicht angemessen wäre.

Zwar kann eine Notenbank nicht pleitegehen – weder im Illiquiditäts- noch im Insolvenzsinn. Sie kann unbegrenzt Liquidität generieren und über Gewinne aus der Geldschöpfung vorübergehend auftretende Eigenkapitallücken im Zeitablauf wieder auffüllen. Allerdings kann die Zentralbank – zumindest kalkulatorisch - in eine Situation geraten, in der sie, um solvent zu bleiben, die Geldschöpfung so stark steigern müsste, dass sie keine Preisstabilität mehr gewährleisten könnte. Dabei muss diese Situation gar nicht erst effektiv eintreten – es reicht wenn Marktteilnehmer unterstellen, dass die Zentralbank auf eine derartige Situation zusteuert. Das ist einer der Hauptgründe, warum wir die Solidität unserer Bilanz strikt verteidigen.

Was unsere Kaufprogramme angeht, glaube ich also, der ein oder andere Kommentator verdreht die Argumentationslogik. Wir kreieren kein unhaltbares Risiko für den Steuerzahler. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Riskant für den Steuerzahler – auch den deutschen – wäre es, wenn wir unser Mandat nicht ernst nähmen. Wenn wir vermeiden, dass die sehr niedrige Inflation zu lange anhält und die Wirtschaft stagniert, mindern wir das Risiko für alle Steuerzahler im Euroraum.

Wenn sich das mit konventionellen Maßnahmen nicht mehr realisieren lässt, weil die Zinsen ihre Untergrenze faktisch bereits erreicht haben, verlangt es unser Mandat, dass wir andere Instrumente wählen. Denn in der Wahl der Mittel sind wir aus gutem Grund sehr frei, solange sie dazu dienen, unser Preisstabilitätsmandat zu erfüllen.

Es ist noch keinen Monat her, dass wir begonnen haben, Pfandbriefe zu kaufen. Mit dem Ankauf von ABS starten wir gerade erst. Nun gilt es abzuwarten, wie sich die Wirkung unserer Kaufprogramme entfaltet.

Droht die Fiskalpolitik die Oberhand zu gewinnen?

Der Gouverneursrat hat sich einstimmig dafür ausgesprochen, gegebenenfalls weitere unkonventionelle Massnahmen zu ergreifen, um einer zu langen Phase zu geringer Inflation entgegenzuwirken. Theoretisch könnte auch der Ankauf von Staatsanleihen oder anderen Aktiva wie Gold, Aktien, Exchange Traded Funds (ETF) etc. dazu zählen.

Ale denkbaren Option müssen dabei einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen sowie auf Effizienz und rechtliche Machbarkeit überprüft werden.

Lassen Sie mich speziell zu Staatsanleihen folgendes in die Diskussion einbringen:

  1. Dass eine Zentralbank, die öffentliche Schuldtitel kauft, aufpassen muss, dass ihre Geldpolitik nicht von fiskalischen Zwängen dominiert wird, ist nicht von der Hand zu weisen.
Was, wenn die öffentlichen Schulden eines Staates nicht mehr tragfähig sind? Wenn die Notenbank einen Großteil der Anleihen dieses Staates hält, könnte Sie sich gezwungen sehen, ihre Geldpolitik immer weiter zu lockern, um zu vermeiden, dass dieser Staat zahlungsunfähig wird. Die betroffenen Regierungen hätten dann kaum noch Anreiz, notwendige Reformen durchzuführen und nachhaltig zu haushalten.

  2. Selbst wenn eine Zentralbank gewillt ist, ein stabiles Preisniveau zu sichern, kann die Schuldenlast eine Dimension erreichen, die es ihr unmöglich macht, Inflation zu verhindern. Wenn sich kein Anleger mehr bereit erklärt, die Staatsanleihen zu kaufen, muss eine Regierung die Schulden monetarisieren oder den Bankrott ausrufen. Wenn die Kapitalmärkte dies auch nur wittern, würde die Nachfrage nach Staatsanleihen drastisch fallen. Will die unabhängige Notenbank in einem solchen Umfeld mit höheren Zinsen die steigenden Inflationsgefahren eindämmen, könnte dies nicht funktionieren, weil der restriktivere Kurs eine noch höhere Zinslast für den Staat zur Folge hätte. Das wiederum würde zu noch höheren Schulden führen und den Zeitpunkt noch rascher herbeiführen, zu dem die Monetarisierung der Schulden oder der Staatsbankrott unausweichlich wird. Die Inflationserwartungen treiben dann Löhne, Preise und Marktprämien entlang einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung nach oben. Die Währungspolitik wäre schlicht und ergreifend machtlos.

  3. Schließlich ist durchaus fragwürdig, inwiefern es gerechtfertigt wäre, staatliche Kreditrisiken zu vergemeinschaften, ohne zugleich die Ausgabenkontrolle demokratisch legitimiert zu vergemeinschaften. Der EZB als föderaler Institution steht keine fiskalische Instanz gegenüber.

Rein ökonomisch betrachtet, gibt es natürlich auch Gründe, die für quantitative Lockerung inklusive Staatsanleihen sprechen. Auch diese will ich ansprechen.

Zunächst – so die Befürworter – könnte ein entsprechendes Kaufprogramms Signalwirkung entwickeln. Ähnlich, wie wir das in der Vergangenheit bei anderen geldpolitischen – aber außerbilanziellen - Ankündigungen beobachtet haben. Nominale Zinsen sollten sinken, Inflationserwartungen steigen und der Wechselkurs fallen. Die Aussicht auf geringere reale Zinsen könnte die Nachfrage ankurbeln, den Preis von Vermögenswerten steigen lassen, die Inflation zurück auf ein gesundes Niveau bringen und die wirtschaftliche Entwicklung stabilisieren.

Außerdem könnten Bewertungseffekte eine Rolle spielen. Wenn die Zentralbank Staatsanleihen aufkauft, steigt deren Preis. Bisherige Investoren, würden ihre Portfolien entsprechend umschichten. Sie würden dann andere Papiere mit langen Laufzeiten kaufen. Das würde mit der Zeit dafür sorgen, dass auch die Preise anderer Wertpapiere steigen.

Im Gegensatz zu unseren bisherigen Maßnahmen, die auf die Kreditvergabe, also die Angebotsseite abzielen, könnte quantitative Lockerung die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen, die Wachstumserwartungen anheben und so auch die Nachfrage nach Krediten ankurbeln.

Aber ist es wirklich so einfach?

Diese theoretischen Überlegungen, wie QE funktionieren könnte, mögen für die damalige Entscheidung der US Notenbank FED relevant gewesen sein. Sie operiert in einem völlig anderen Umfeld als die EZB. Europas Wirtschaft ist stark bankbasiert. In den USA, hingegen, finanzieren sich Unternehmen vielmehr direkt am Markt. Bankkredite machen nur etwa 20% ihrer Verschuldung aus.

Allerdings, so die Befürworter, habe QE auch in Japan funktioniert, das ähnlich bankbasiert ist wie Europa. Banken halten sehr viele Staatsanleihen. Wenn die Preise dieser Anleihen steigen, steigt auch die Bewertung der Banken. Wenn Banken mehr Kapital vorzuhalten haben, können sie auch vermehrt Kredite vergeben. Außerdem würde der Wert der Sicherheiten, die potentielle Kreditnehmer vorzuweisen hätten steigen, wenn der Preis von Vermögenswerten generell steigt. Angesichts dessen sollten die Banken dann auch vermehrt gewillt sein, Kredite zu vergeben.

Kann diese Logik aufgehen?

QE kann effektiv sein, wenn der Privatsektor auf veränderte langfristige Zinsen reagiert. Die Bankkredite, über die sich Europas Unternehmen vornehmlich refinanzieren, haben vergleichsweise kurze Laufzeiten, oft unter fünf Jahren. Die Zinsen auf diese Kredite, stehen darüber hinaus nur bedingt im Zusammenhang mit Marktraten. Vielmehr spiegeln sie die Refinanzierungskosten der Banken wider, die schon jetzt sehr gering sind.

Als unabhängige Zentralbank werden wir unsere Entscheidung, ob und welche weiteren Maßnahmen wir gegebenenfalls ergreifen, allein von geldpolitischen Überlegungen abhängig machen. Wie auch in der Vergangenheit wird es darum gehen, unserem geldpolitischen Mandat gerecht zu werden.

Aber kann die Nachfrage wirklich von geldpolitischen Maßnahmen angeschoben werden? Wird Vertrauen durch ein paar zusätzliche Basispunkte in der mittleren Frist geschaffen?

Insgesamt würde ich mich sehr viel wohler fühlen, wenn die politisch Verantwortlichen sich klar dazu bekennen würden, das Risiko für die EZB zu verringern. Wenn sie sich also zu fundamentalen Refomen bekennen würden, um die Staatsverschuldung auf ein tragfähiges Niveau zu bringen und Fehlanreize zu vermeiden. Konkret möchte ich ein klares Bekenntnis zu weiterer wirtschaftlicher und fiskalischer Integration in Europa sehen, sowie strukturelle Reformen, die auch umgesetzt werden und nachhaltiges Wachstum fördern. Dazu gehört etwa, die Arbeitsmärkte zu reformieren und bürokratische Hürden abzubauen. Geldpolitische Lockerung kann keine effektive Wirkung entfalten, wenn Europas Wirtschaft strukturell nicht gut aufgestellt ist.

Ein solches Bekenntnis würde nicht nur der EZB ihre Arbeit erleichtern. Es wäre ein Bekenntnis, dessen Umsetzung allen Bürgern Europas zu Gute käme.

Schlussfolgerungen

Lassen Sie mich zusammenfassen:

Der Referenzpunkt all unseres Handelns ist, das primäre Mandat der EZB zu erfüllen, d.h. Preisstabilität zu sichern. In Zeiten ungewöhnlich niedriger Inflationsraten bei Leitzinsen nahe Null, ist es geboten unkonventionelle Maßnahmen zu ergreifen.

Unsere Liquiditätsspritzen und Ankaufprogrammen dienen dazu, die Verstopfungen im Kreditkanal zu lösen ( credit easing). Die damit verbundenen Risiken versuchen wir so gering wie möglich zu halten und beschränken uns auf den Ankauf ausgesprochen sicherer Wertpapiere. Ziel ist es nicht, dem Bankensektor schlechte Kreditrisiken abzunehmen und in der Bilanz der Notenbank zu versenken. Das ist nicht unser Auftrag.

Dass sich unsere Bilanz im Zuge dessen verlängert, ist weder ein Selbstzweck noch ein Fetisch. Der damit einhergehende Druck auf die Zinsen ist bestenfalls ein Kollateralnutzen. Die Überschussliquidität, die im Bankensektor steckenbleibt, trägt aber nicht dazu bei, die Realwirtschaft zu beleben, sondern kann nur über den Portfolio und Wechselkurskanal wirken.

Diese Maßnahmen sollten wir erst einmal wirken lassen. Wenn sie nicht ausreichen, sind uns aber nicht die Hände gebunden. Wir können, wenn es denn darauf ankommen sollte, mehr tun. Jede mögliche neue Maßnahme muss dabei im Vorhinein gründlich auf Effektivität und Effizienz durchleuchtet werden und auf Konformität mit unserem Mandat. Zugleich sind wir uns möglicher Nebenwirkungen und Langzeitrisiken sowie den institutionellen und ökonomischen Besonderheiten des Euroraums sowie den Grenzen unseres Mandats bewusst.

  1. [1]FitchRatings, Special Report: “ECB Takes Minimal Credit Risk with ABSPP”, 23 October 2014.

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