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Neueste politische Entscheidungen zur Bankenunion und ihre Auswirkungen auf die EZB als Aufsichtsbehörde

Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB,
Generalversammlung der Österreichischen Bankwissenschaftlichen Gesellschaft (BWG),
Wien, den 24. September 2013

Sehr geehrter Professor Lucius,

Sehr geehrte BWG-Mitglieder,

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

vor zwei Wochen hat das Europäische Parlament dem Gesetzesvorschlag für eine gemeinsame Bankenaufsicht zugestimmt. Ich gehe davon aus, dass auch der Rat seine formelle Zustimmung übermorgen geben wird.

Das ist für die EZB der Startschuss für die letzte Runde der Vorbereitungen für die gemeinsame Bankenaufsicht. Fünf Tage nach der Veröffentlichung im EU Amtsblatt haben wir zum 2. November die rechtliche Grundlage, um alle noch ausstehenden Entscheidungen zur Ausgestaltung der Bankenaufsicht bei der EZB zu treffen. Und so das erste Element der Bankenunion in die Tat umzusetzen.

Ziel der geplanten Bankenunion ist es, einen vollkommen integrierten, effizienten und stabilen europäischen Finanzmarkt zu schaffen. Kern dessen ist ein integrierter Bankenmarkt, der den Wettbewerb um Kapital intensivieren wird. Das führt dazu, dass Kapital effizienter zugeteilt wird. Damit verbessern sich die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen. Die Unternehmen wiederum haben damit den nötigen Spielraum für Investitionen, die sich positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken können.

Für uns als Zentralbank bedeutet ein integrierter Bankensektor vor allem, dass unsere Geldpolitik im gesamten Euroraum effektiv greift. Nur so kann unsere Geldpolitik ihre Wirkung effektiv in der Realwirtschaft entfalten.

Erfolgreiche Politikgestaltung ist immer ein Dreiklang von Regeln, Institutionen und Instrumenten. Das gilt auch für das Ziel, einen voll integrierten Finanzmarkt zu erreichen.

Im Bereich der Bankenaufsicht haben wir mit den neuen Kapitalvorschriften (CRD IV) bereits das Regelwerk. Es gilt aber, die unzähligen Optionen einheitlich zu gestalten mit Blick auf die kommende einheitliche Aufsicht. Auf institutioneller Ebene laufen die letzten Vorbereitungen für den gemeinsamen Aufsichtsmechanismus. Und die EZB wird mit den nötigen Instrumenten ausgestattet, um ihre neuen Aufgaben umzusetzen.

Nun muss die Aufsicht ergänzt werden um ein ebenso wirksames Regelwerk für die Abwicklung von nicht mehr lebensfähigen Banken und einer starken Abwicklungsbehörde, mit effektiven Abwicklungsinstrumenten.

Gerade in Europa ist eine Grundsanierung des Bankensektors enorm wichtig. Schließlich erfolgt etwa 80% der Unternehmensfinanzierung über den Bankensektor. Europa braucht einen gesunden Bankensektor, der Unternehmen und Haushalte mit Krediten versorgt.

Natürlich müssen die Banken ihre Bilanzen selber in Ordnung bringen. Aber eine echte europäisch organisierte Bankenunion mit einer einheitlichen, verpflichtenden und von Dritten nachvollziehbaren, kontrollierten Bilanzanalyse kann einen Beitrag leisten, das Vertrauen in diesen Sektor wieder herzustellen.

Erstens, wird die gemeinsamere Aufsicht für mehr Transparenz sorgen.

Zweitens, schafft eine Bankenunion gleiche Bedingungen für alle Banken im Euroraum.

Drittens, wird ein verbesserter, einheitlicher Abwicklungsrahmen zur Gesundung des Systems beitragen.

Auf diese drei Dimensionen: Transparenz, gleiche Bedingungen und einheitliche Abwicklung möchte ich heute eingehen.

Mehr Transparenz

Unsere Vorbereitungen auf die gemeinsame Aufsicht laufen bereits auf Hochtouren.

Lassen Sie mich zunächst ein Wort zu dem zukünftigen organisatorischen Aufbau des SSM verlieren.

Der SSM wird aus vier Generaldirektoraten und einem Sekretariat bestehen. Zwei der Generaldirektorate (GD Mikroaufsicht I und II) werden die direkte und laufende Aufsicht über die systemrelevanten Banken durchführen. Die Arbeitsteilung der Aufsicht zwischen diesen beiden GDs wird weitgehend nach einem risikobasierten Ansatz bestimmt sein, so dass sie sich nach Risiken, Komplexität und Geschäftsmodellen der Kreditinstitute spezialisieren können.

Die dritte Generaldirektion (GD Mikroaufsicht III) wird die indirekte Aufsicht verantworten. Die direkte Aufsicht dieser Banken wird immer noch von den nationalen Aufsichtsbehörden durchgeführt werden, aber mit regelmäßigen Berichterstattung an die EZB.

Die vierte Generaldirektion (GD Mikroaufsicht IV) beheimatet die horizontale Überwachung und Expertenfunktionen, wie Qualitätssicherung, Methodik sowie die Entwicklung von Standards, Sanktionen und Lizenzerteilung und -entzug, Krisenmanagement, Analyse von Kapitalmarktrisiken sowie Modell-Validierung. Die Stellenausschreibungen liegen nach Absprache mit den nationalen Aufsehern in der EZB bereit und werden nach der Veröffentlichung der Stellenausschreibung für den Vorsitz des Supervisory Board Ende des Monats veröffentlicht.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht derzeit aber vor allem die umfassende Bilanzbewertung derjenigen Banken, die unter die direkte Aufsicht der EZB fallen werden. Wie der Name schon sagt, geht es hier um mehr als etwa einen Stresstest. Wir werden zuerst eine Risikoanalyse durchführen und dann eine gründliche, intensive Überprüfung der Aktiva. Die Ergebnisse dieser Inventur fließen dann in einem dritten Stadium in einen Stresstest ein, den die Europäische Bankenaufsicht EBA in enger Zusammenarbeit mit uns durchführen wird. Das Resultat dieser umfassenden Bestandsaufnahme sollte eine einzige bankspezifische Kennziffer sein.

Mit dieser Übung stellen wir sicher, dass potentielle Verlustgeschäfte nicht kaschiert werden. Als unabhängige, supranational angelegte europäische Instanz ist die gemeinsame Bankenaufsicht frei von nationaler Befangenheit. Die etablierte europäische Perspektive der EZB schafft die nötige Glaubwürdigkeit, damit Anlieger dem europäischen Bankensystem wieder mehr Vertrauen schenken.

Zunächst werden wir die jeweils risikoreichsten Anlageklassen und Portfolios identifizieren. In einem Land sind das vielleicht Schiffskredite. Andernorts können es die Immobiliengeschäfte sein. Im Anschluss geht es darum, die Bankbilanzen gezielt unter die Lupe zu nehmen. Besonderes Augenmerk kommt dabei den Aktiva zu, die zuvor als besonders risikoreich identifiziert wurden. Sie werden umfassend analysiert und bewertet. Die Ergebnisse dieser Analyse bilden die Grundlage für einen strengen Stresstest.

Zusammen ermöglichen diese drei Elemente – Risikoanalyse, Bilanzüberprüfung, und Stresstest – eine gründliche und solide Überprüfung, wie es um jedes einzelne Kreditinstitut bestellt ist. Diese unabhängige Inventur bringt quantitative und qualitative Risikoeinschätzungen zusammen. Sie ist deutlich mehr als eine rein buchhalterische Übung. Darüber hinaus bietet sie eine Einschätzung sowohl über den Ist-Zustand als auch über wahrscheinliche künftige Entwicklungen.

Gründlichkeit und Rigorosität werden für mehr Transparenz sorgen, wie es wirklich bestellt ist, um Europas Banken.

Natürlich werden wir den Banksektor frühzeitig, umfassend und abgeschlossen in Kenntnis darüber setzen, welche Information in welcher Form und wann eingeholt werden, bevor die eigentliche Bilanzüberprüfung vorgenommen wird.

Allerdings werden wir keine Abstriche machen, was den Umfang der Bilanzprüfung angeht, etwa ob der Besitz von Staatsanleihen berücksichtigt wird. Auch ist die Definition einer Kapitalschwelle nicht verhandelbar. Wir werden uns dem Lobby-Druck einiger Banken nicht beugen. Denn das würde die Glaubwürdigkeit der gesamten Übung untergraben. Auch wird es keine Kompromisse geben bei der Frage, ob die Integrität der überlieferten Daten überprüft wird (sogenannte Data Integrity Review).

Um das Vertrauen der Anleger in den Sektor zu stärken, müssen wir uns schon jetzt überlegen, wie wir damit umgehen, wenn diese Inventur Schwachstellen aufdeckt.

Dies kann und darf im Vorhinein nicht ausgeschlossen werden. Ansonsten wird uns womöglich vorgeworfen, die Ergebnisse zu beschönigen.

Erklärtes Ziel der umfassend Bilanzanalyse ist, der Wahrheit ungeschminkt ins Gesicht zu schauen. Das bedeutet zugleich, dass es eine finanzielle Absicherung geben muss, für den Fall, dass finanzielle Löcher gestopft werden müssen. Die Staats- und Re­gierungschefs sprechen in der Abschlusserklärung ihres letzten Gipfeltreffens von „geeigneten Maßnahmen“ vor Abschluss der Überprüfung.

Eine glaubhafte und solide Absicherung muss dabei schon vor Beginn der Überprüfung stehen. Ohne eine solche Absicherung, können wir die Bilanzanalyse nicht durchführen.

Wie kann diese Absicherung aussehen?

Banken sollten sich grundsätzlich über den Markt rekapitalisieren. Falls dies in Einzelfällen nicht gelingt, ist ein Auffangnetz erforderlich. Zunächst sind dabei die jeweiligen Mitgliedstaaten gefragt. Die Bankenunion ist keine Transferunion durch die Hintertür.

Jeder muss seine eigenen Altlasten bereinigen. Wenn diese beiden Möglichkeiten – Privatsektor und nationale Budgets – ausgeschöpft sind, muss eine andere Art der Absicherung greifen. Es bedarf dann der Einzelfallprüfung, wie und in welchem Umfang ein vorübergehender Zugriff auf einen grenzüberschreitenden „Backstop“ erforderlich ist, um sicherzustellen, dass einen Rekapitalisierung zügig und reibungslos abläuft, ohne dass übermäßig auf das Geld der Steuerzahler zurückgegriffen wird und ohne nachteilige Auswirkungen auf die Finanzstabilität als Ganzes.

Kurz, die umfassende Analyse ist eine Notwendigkeit für uns als künftiger Aufseher. Sie ist gleichzeitig eine Chance für die Banken.

Die technischen Vorbereitungen für diese Inventur laufen bereits auf Hochtouren. Um für mehr Glaubwürdigkeit zu sorgen, haben wir beschlossen, auch auf die Expertise unabhängiger Berater zurückzugreifen. Den ersten Zuschlag haben wir heute an Oliver Wyman vergeben. Im Oktober werden wir nähere Details zur Methodik bekannt geben.

Gleiche Bedingungen

Wie wichtig es ist, dass die Bankenaufsicht vereinheitlicht und auf europäischer Ebene angesiedelt ist, zeigt auch ein weiterer Aspekt unser Vorbereitungen: ein Leitfaden zur einheitlichen Datenerfassung. Derzeit läuft bereits eine Pilotstudie, um diese vereinheitliche Datenerfassung zu testen.

Aufsichtsdaten einheitlich zu erfassen zeigt, was es ganz praktisch bedeutet, wenn wir von einheitlichen Aufsichtsregeln und fairen Bedingungen für alle Banken reden.

Bisher gibt es zum Beispiel sehr unterschiedliche Auffassungen davon, wann ein Kredit notleidend ist. Ist ein Darlehen bereits als Problemkredit einzustufen, wenn ein Schuldner mit seinen Zahlungen drei Monate im Verzug ist? Oder ist die Schwelle erst nach sechs Monaten erreicht? Um nur ein Beispiel zu nennen: in Italien gilt ein Kredit bereits als notleidend, wenn die Konditionen etwas gelockert werden, um dem Schuldner entgegen zu kommen. In Deutschland, hingegen, müssen solche re-strukturierten Darlehen nicht immer gesondert aufgeführt werden und gelten auch nicht immer als notleidend. Unsere Bilanzprüfung wird auf voraussichtlich in einem Monat vorliegende einheitliche Definition der EBA fußen.

Als Wissenschaftler wissen Sie, wie wichtig einheitliche Datendefinitionen sind. Für empirische Forschung ist es unabdingbar, dass Daten nicht nur überall nach denselben Vorgaben erfasst werden, sondern, dass auch alle dasselbe Verständnis darüber haben, was diese Vorgaben bedeuten.

Zugegebenermaßen sind Definitionen meist nicht gerade der spannendste Aspekt eines wissenschaftlichen Aufsatzes. Trotzdem können sie aber von enormer Bedeutung sein. Während der Krise hat sich der europäische Finanzmarkt immer mehr entlang nationaler Grenzen fragmentiert. Ein Grund dafür ist, dass die Unsicherheit dazu beigetragen hat, dass Anleger vermehrt in die Märkte investiert haben, die ihnen vermeintlich am besten bekannt sind – ihre Heimatmärkte. Wenn nur ein italienischer Investor die Risiken einer italienischen Bank richtig einschätzen kann, ist das ein Problem für die Binnenmarktintegration. Wenn aber künftig überall dieselben Definitionen gelten, wird es keinen Heimatvorteil mehr geben. Dann kann auch endlich ein wirklich integrierter europäischer Finanzmarkt entstehen. Und dafür kann eine supranationale Institution den entsprechenden Rahmen bereitstellen.

Künftig werden also für alle Banken im Euroraum dieselben Aufsichtsstandards gelten. Wir schaffen so transparente Bedingungen, die es Anlegern erleichtert, vernünftige, datenbasierte Investitionsentscheidungen zu treffen.

Das alles sorgt für eine Re-integration des fragmentierten europäischen Finanzmarkts. Und es ist der Beginn einer einheitlichen europäischen Aufsichtskultur – dem Ausgangspunkt für eine wirklich europäische Bankenlandschaft.

Die EZB wird zwar nur die wichtigsten Banken im Euroraum direkt beaufsichtigen. Das heißt aber nicht, dass andere Banken durch das europäische Aufsichtsnetz fallen. Zum einen überblickt die EZB die nationalen Aufsichtsbehörden. Zum anderen können wir, wenn wir das für notwendig halten, jederzeit die direkte Aufsicht auch über kleinere Institute übernehmen. Künftig werden Aufseher also nicht mehr bei ihren Heimatinstitutionen ein Auge zudrücken können. Auch das ist Ausdruck gleicher Bedingungen.

Einheitliche Abwicklung

Transparenz und gleiche Bedingungen sind Voraussetzungen für Vertrauen.

Vertrauen kann auch gestärkt werden, wenn nur diejenigen Banken Geschäfte tätigen, die auch ein solides Geschäftsmodell haben. Wenn eine Bank nicht mehr überlebensfähig ist, muss sie auch aus dem Markt ausscheiden können. Und zwar ohne damit gleich den Rest des Finanzsystems in den Abgrund zu ziehen.

Auch hier geht es um ein ebenes Spielfeld. Es kann nicht sein, dass Staaten, die sich das leisten können, ihre Banken künstlich am Leben halten, während sie in anderen Staaten Pleite gehen. Solche impliziten Staatsgarantien laufen darauf hinaus, dass Banken in gut aufgestellten Staaten, sehr viel geringere Refinanzierungskosten haben, als Banken, die nicht von so einer impliziten Garantie profitieren. Auch das ist Zeichen eines fragmentierten Finanzmarktes. Der einheitliche Binnenmarkt, das Kernstück der Europäischen Integration, wird nur dann richtig funktionieren, wenn Europa auch einen einheitlichen Finanzmarkt hat. Ein Finanzmarkt, in dem für alle dieselben Bedingungen gelten. Das heisst auch, dass strauchelnde Banken künftig geregelt abgewickelt, statt von Steuergeldern künstlich am Leben gehalten zu werden.

Deshalb braucht Europa nicht nur eine gemeinsame Bankenaufsicht, sondern auch einheitliche Abwicklungsregeln für angeschlagene Banken. Ein entsprechendes Regelwerk ist mit der Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken bereits auf den Weg gebracht.

Damit müssen Anleger sich von der Vorstellung verabschieden, dass der Steuerzahler in die Bresche springt, wenn eine Bank in Schieflage gerät. Vielmehr gilt künftig: Anleger können und müssen ihr Risiko richtig einschätzen. Konkret heisst das, es gibt eine Haftungsreihenfolge, wer bei Verlusten zur Kasse gebeten wird. Zunächst sind das die Aktionäre, dann die Gläubiger. Sicher ist, dass Einlagen bis 100,000 Euro gesetzlichen Schutz genießen und Einlagen darüber stärker geschützt sind als kapitalähnliche Formen. Klare Regeln sind nötig, damit angeschlagene Banken künftig effizient abgewickelt werden können, ohne den Steuerzahler zu belasten oder das gesamte Finanzsystem zu gefährden. Zu klaren Regeln gehört aber auch eine einheitliche Anwendung dieser Regeln. Im Kompromiss des EU-Ministerrats sehe ich zu viel nationalen Spielraum. Die Vertreter des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission werden diesen Aspekt im Rahmen ihrer Verhandlungen im Vermittlungsausschuss hoffentlich berücksichtigen.

Sonst konterkarieren wir das eigentliche Ziel der verstärkten Harmonisierung, nämlich gleiche Bedingungen für alle zu schaffen.

Zudem sollen die Regeln für das bail-in erst 2018 in Kraft treten. Ich hoffe, dass man dies zeitlich vorziehen kann, dass wir bereits 2015 einen einheitlichen Regimewechsel aus einem Guss vorweisen können.

Mit der Abwicklungsrichtlinie haben wir hoffentlich bald ein einheitliches Regelwerk. Zu einer funktionierenden Bankenunion gehört darüber hinaus eine Institution, die dieses Regelwerk anwendet und mit dem nötigen Instrumentarium ausgestattet ist. Wenn wir künftig Europas Banken auf der europäischen Ebene beaufsichtigen, ist es nur logisch, dass auch auf supranationaler, europäischer Ebene entschieden wird was passiert, wenn eine Bank nicht mehr lebensfähig ist. Beide Elemente können nicht voneinander entkoppelt werden.

Die Krise hat schmerzlich verdeutlich, dass grenzüberschreitende Banken nicht effizient, kostengünstig und ohne direkte Auswirkungen auf ihr Heimatland abgewickelt werden können, wenn wir uns allein auf die Koordination zwischen den Mitgliedstaaten verlassen. Es ist deshalb im Interesse Europas, auch die Abwicklung von Banken auf supranationaler Ebene zu steuern.

Die Europäische Kommission hat kürzlich einen Gesetzesvorschlag unterbreitet, der die Bankenabwicklung auf die europäische Ebene heben soll – und damit auf dieselbe Ebene wie die gemeinsame Aufsicht. Die EZB wird demnächst eine Stellungnahme dazu veröffentlichen. Aber, soviel kann ich schon jetzt sagen, wir begrüssen diesen Vorschlag. Er umfasst die wesentlichen Elemente für ein effizientes und effektives Abwicklungsregime: ein einheitliches System, in dessen Zentrum eine einheitliche Behörde steht, die auf einen einheitlichen Fond zurückgreifen kann.

Die Kommission sieht einen strengen Zeitplan vor: bereits ab 2015 soll der neue Abwicklungsmechanismus voll arbeitsfähig sein. Dieses ehrgeizige Ziel wird der Dringlichkeit des Projekts gerecht.

Ich denke, dieser Zeitplan ist nicht nur ehrgeizig, er ist auch machbar. Auch deshalb, weil der Vorschlag so aufgesetzt ist, dass er auf die bestehenden Verträge aufbaut. Es wird also keine Vertragsänderung nötig sein, um Banken, die unter die europäische Aufsicht fallen, nötigenfalls auch auf europäischer Ebene abwickeln zu können.

Uns ist es – erlauben Sie mir dieses Wortspiel – ob der Dringlichkeit dieses Projekts nicht nur recht, dass der Kommissionsvorschlag auf den existierenden Verträgen beruht. Unser juristischer Dienst hält das auch für rechtens. Diese Position vertreten auch die juristischen Dienste der Kommission, des Rates und der meisten Mitgliedsländer.

Ein Punkt, den es im Gesetzgebungsverfahren meines Erachtens noch etwas zu detaillieren gilt, ist die konkrete Ausgestaltung des geplanten Abwicklungsfonds. Er soll dann einspringen, wenn es trotz Einbezug von Aktionären und Gläubigern noch Verluste zu decken gilt. Dieser Fond wird sich aus risikogewichteten Abgaben der Banken finanzieren. Das reflektiert den Grundgedanken der neuen Abwicklungsregeln: wer ein Risiko eingeht, muss auch die Konsequenzen tragen. Das heisst, künftig wird nicht mehr der Steuerzahler, sondern der Bankensektor selber zur Kasse gebeten. Wirklich glaubwürdig wird ein europäischer Abwicklungsmechanismus aber nur, wenn der Fond zur Absicherung notfalls auch vorrübergehend auf eine Kreditlinie aus öffentlichen Mitteln zurückgreifen kann. Da ein entsprechender Kredit nur vorrübergehende Lücken füllen würde und selbstverständlich, aus der Privatwirtschaft zurückzuzahlen ist, wäre diese Absicherung mittelfristig fiskalisch neutral.

In anderen Währungsräumen sorgt so eine Absicherung bereits erfolgreich für mehr Glaubwürdigkeit und damit für mehr Stabilität. Die Federal Deposit Insurance Corporation kann zum Beispiel notfalls auf einen Kredit vom amerikanischen Finanzministerium zurückgreifen.

Eine entsprechende Absicherung des Abwicklungsfonds über den ESM wäre im Einklang mit den Beschlüssen des Europäischen Rats vom Dezember 2012. Es gilt also nur, bereits getroffene Vereinbarungen auch in den Gesetzestext einfliessen zu lassen.

Schlussgedanken

Lassen Sie mich abschliessend noch ein paar Worte dazu verlieren, was die Entscheidungen und Debatten der letzten Wochen für die EZB bedeuten.

Sobald das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist, können wir mit den Vorbereitungen für die gemeinsame Aufsicht in die letzte Runde starten. Dafür brauchen wir möglichst zeitnah ein beschlussfähiges Aufsichtsgremium. Wir sind uns mit dem Europäischen Parlament einig, dass wir zügig den Vorstand, also den Chair und den Vice-Chair, dieses Aufsichtsgremiums ernennen werden. So kann das Gremium möglichst bald die letzten Entscheidungen zur Vorbereitung der gemeinsamen Aufsicht treffen.

Die Erwartungen an die EZB sind enorm. Die Bankenaufsicht wurde uns in der Hoffnung übertragen, dass wir, als unabhängige, europäisch ausgerichtete Institution, finanzielle Risiken objektiver und früher feststellen als das bisher der Fall war. Bereits ein Jahr nach Inkrafttreten der Regulierung müssen wir in der Lage sein, die wichtigsten Banken im Euroraum direkt zu beaufsichtigen. Darüber hinaus werden wir die Aufsicht aller anderen Kreditinstitute seitens der nationalen Aufsichtsbehörden im Blick behalten.

Diese Aufgabe erfordert Zeit. Wir haben uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, auf europäischer Ebene zu harmonisieren, was über Jahre auf nationaler Ebene gewachsen ist. Ich habe die unterschiedliche Buchhaltung angesprochen. Das ist aber nur ein Beispiel nationaler Aufsichtspraktiken, die es nun auf europäischer Ebene in Einklang zu bringen gilt. – Bei der Bankenaufsicht geht es um ein riesiges europäisches Integrationsprojekt. Das sollten wir von vorneherein richtig angehen. Und das wird einen ziemlichen Kraftakt erfordern.

Ich bin mir aber sicher, dass wir ihn meistern werden. Derzeit helfen uns bereits fast 80 Mitarbeiter nationaler Notenbanken, die eigens zu diesem Zweck zur EZB entsandt sind.

Die Krise hat deutlich gezeigt, dass eine Währungsunion sehr anfällig ist, wenn nur die Geldpolitik vergemeinschaftet ist und alle anderen Politikbereiche vor allem national oder zwischenstaatlich bestimmt werden.

Damit der europäische Binnenmarkt richtig funktioniert, brauchen wir auch einen einheitlichen Finanzmarkt. In den letzten Jahren hat sich der europäische Finanzmarkt aber immer mehr entlang nationaler Grenzen fragmentiert. Bildlich gesprochen, sind die Schlagbäume wieder aufgestellt worden.

Das hat negative Auswirkungen auch für den Rest des Binnenmarkts.

Die Bankenunion ist ein erster Schritt in Richtung „mehr Europa“. Und zwar nicht als Selbstzweck. Sondern, um Europa auf ein solideres Fundament zu stellen. Sie zeigt, dass europäische Integration über die reine Zusammenarbeit von nationalen Regierungen hinausgeht. Mit der Bankenunion schaffen wir die nötigen Institutionen, Instrumente und Regeln auf supranationaler, europäischer Ebene, um den europäischen Finanzmarkt wieder stärker zu integrieren. Wir schaffen die Voraussetzung dafür, den Binnenmarkt weiter voranzubringen und die institutionelle Architektur Europas zu stärken.

Dieses Ziel sollten wir nicht aus den Augen verlieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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