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Wirtschafts- und finanzpolitische Herausforderungen für den Euro-Raum

Rede von Gertrude Tumpel-Gugerell, Mitglied des Direktoriums der EZB, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, Mainz, 27. Januar 2011

2010 war möglicherweise das Jahr, das die größte Veränderung für die wirtschaftliche Führung Europas seit 20 Jahren gebracht hat:

Einrichtung eines Europäischen Stabilisierungsmechanismus im Mai 2010, Annahme des Van Rompuy Abschlussberichts zur Reform der finanz- und wirtschaftspolitischen Führung Europas im Oktober 2010 und schließlich die Einrichtung eines permanenten Europäischen Stabilisierungsmechanismus im Dezember 2010.

Ganz im Sinne des Titels der heutigen Veranstaltung „Quo vadis Europa, quo vadis Euro“ möchte ich heute vor allem über die gegenwärtigen Herausforderungen für den Euroraum sprechen und – die für den Erfolg unserer Währungsunion wichtigen – finanz- und wirtschaftspolitischen Prioritäten für die Zukunft skizzieren.

Vor etwa 20 Jahren – als die Währungsunion vorgeschlagen und geplant wurde – gab es Stimmen (v.a. aus Deutschland), die davon überzeugt waren, dass eine Währungsunion nicht ohne politische Union möglich sei. Andere wiederum sahen die Währungsunion als natürlichen ersten Schritt für eine langsam wachsende politische Union.

1992 wurden im Maastricht Vertrag die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Währungsunion festgeschrieben: Wirtschaftliche Konvergenz, Budgetdisziplin und die Koordination der Wirtschaftspolitiken.

Heute, vor dem Hintergrund der derzeitigen Herausforderungen ist es an der Zeit zu fragen, ob wir diese Voraussetzungen zu sehr außer Acht gelassen haben, um eine Währungsunion bestehend aus verschiedenen souveränen Staaten erfolgreich werden zu lassen. Ist es ein Problem, im Euroraum eine Zentralbank und 17 Finanzministerien zu haben? Haben wir einen Konstruktionsfehler im System oder wurden die Konstruktionspläne nicht ausreichend beachtet?

Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, lassen Sie mich zunächst 3 Fragen aufwerfen und beantworten: Was sind die Elemente, die den Euro erfolgreich gemacht haben? Was sind die Herausforderungen und deren Hintergründe, denen wir derzeit gegenübergestellt sind und was bedeuten diese für den Erfolg unserer gemeinsamen Währung? Und schließlich was muss getan werden, damit wir auch in Zukunft den Erfolg des Euros garantieren können?

Was sind die Elemente, die den Euro erfolgreich gemacht haben?

Der Grundpfeiler des Erfolges des Euros liegt in der politischen Entschlossenheit, mit der das Euro Projekt initiiert wurde, der Euro geplant wurde und letztlich eingeführt wurde. Die Eckpfeiler der Europäischen Währungsunion wurden im Maastricht Vertrag gesichert und durch die Gründung von Europäischem Währungsinstitut und schließlich der Europäischen Zentralbank institutionell umgesetzt.

Die Einführung des Euros verlief erfolgreich. Aber was können wir nach 12 Jahren seiner Existenz sagen?

Erstens, der Euro ist so stabil wie die Deutsche Mark es war. Die EZB hat sich mit ihrer stabilitätsorientierten Geldpolitik einen Namen gemacht und alles dafür getan, Preisstabilität zu gewährleisten. Dies ist uns gelungen. Die Inflationsrate im Eurogebiet, gemessen an den Konsumentenpreisen (HVPI), lag in den ersten 12 Jahren durchschnittlich knapp unter 2% (aktuell 1,98% seit Beginn der WWU (in Deutschland lag die durchschnittliche Inflationsrate sogar nur bei 1.5%, im Vergleich zu 2.2% in den 90er Jahren und 2.8% in den 80er Jahren). Trotz schwieriger Umstände für die Geldpolitik, wie beispielsweise die jüngste Finanzkrise und die vorausgegangenen Verwerfungen der Öl- und Rohstoffpreise, blieben Inflation und Inflationserwartungen nahe und zumeist unter der angepeilten 2% Marke. Das hat für die Bürger Europas Kaufkraft und Ersparnisse gesichert und hat zudem für viele Mitgliedsländer nie gekannte niedrige Zinsen gebracht.

Zweitens, der Euro hat zur Finanzmarktintegration in Europa beigetragen. Ein großer Geld- und Kapitalmarkt ist entstanden und hat damit für bessere Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und Haushalte gesorgt.

Drittens, der Euro hat einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftentwicklung geleistet. Niedrige Zinsen, niedrigere Transaktionskosten und die Eliminierung von Wechselkursschwankungen haben einen deutlichen Beitrag zu wirtschaftlicher Stabilität und Wachstum geleistet. Das hat sich beispielsweise positiv auf den Arbeitsmarkt ausgewirkt. Seit Beginn der Währungsunion sind 14 Mio. zusätzliche Jobs entstanden.

Die Vorteile unserer gemeinsamen Währung werden auch von der breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. So hat sich das öffentliche Meinungsbild im Laufe der Jahre gewandelt. Etwa 10 Jahre nach der Einführung des Euro sind nach Umfragen der Europäischen Kommission z.B. drei von vier Deutschen der Meinung, dass der Euro eine gute Sache ist. Diese Zustimmung fällt noch deutlicher aus, wenn man die Umfrage lediglich auf Jugendliche und jüngere Menschen bezieht. So finden in der Altersgruppe zwischen 17 und 24 Jahren, vier von fünf Befragten, dass der Euro eine gute Sache ist.

Die öffentliche Zustimmung ist durch die Entwicklungen der letzten Monate sicher berührt worden. Es gilt daher, das Vertrauen wieder zu stärken. Lassen Sie mich also zu der zweiten Frage kommen:

Vor welche Herausforderungen hat uns die Finanzkrise gestellt und was bedeuten diese für den Erfolg unserer gemeinsamen Währung?

Die Finanzkrise hatte eine Reihe von Ursachen: makroökonomische Ungleichgewichte, ungenügende Risikoeinschätzung, zu viel Selbstregulierung, mangelnde Transparenz im Finanzsystem, zu hohe und falsch gesetzte finanzielle Anreize für Einzelne, etc. Dies stellt nicht nur die Finanz- und Wirtschaftspolitik vor große Herausforderungen, sondern verlangte eine entschlossene Krisenantwort.

Am 9. August 2007 kam es auf dem Geldmarkt in Europa zu Liquiditätsengpässen und Spannungen. Die Handelsaktivität war beeinträchtigt und die Zinsen am Geldmarkt stiegen deutlich an.

Die EZB teilte den Banken durch Schnelltender 95 Mrd. EUR mehr an Liquidität zu.

In der Folge, weiteten sich die Liquiditätsengpässe schnell in eine Vertrauenskrise für das Bankensystem aus, die mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers in 2008 kulminierte und eine globale Wirtschaftskrise – die schwerste seit den 30er Jahren – nach sich zog. Die Wirtschaftsleistung in den Eurozone-Staaten brach mit einem Rückgang um 4% deutlich ein.

Krisenantwort Nr. 1: Die EZB senkte die Zinsen um 3,25% auf das historische Tief von 1% und stellte großzügig Liquidität bereit – seit Oktober 2008 sogar mengenmäßig unbeschränkt, was zu einer Ausweitung der Zentralbankbilanz von ca. 400 Mrd. EUR führte (bzw. einer Verdopplung der Refinanzierung der Banken). Außerdem unterstützten die Regierungen Banken mit Kapital und Garantien und setzten Konjunkturprogramme auf.

Im Mai 2010 kam es zu neuerlichen Spannungen in einigen Marktsegmenten, besonders im Zusammenhang mit (zunächst griechischen) Staatsanleihen. Hier bestand nicht nur die Gefahr einer erheblichen Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus, die die effektive Durchführung der Geldpolitik beeinträchtigen hätte können, sondern auch, dass die Spannungen im Markt für Staatsanleihen die Stabilität des Finanzsektors und damit des Wirtschaftsgeschehens insgesamt bedrohen hätte können.

Krisenantwort Nr 2: Die EZB intervenierte an den Märkten für öffentliche und private Schuldverschreibungen im Eurogebiet.

Das entschlossene Eingreifen der EZB durch Liquiditätsbreitstellung und Wertpapierkäufe hatte entscheidenden Anteil daran, das Finanzierungsrisiko im Eurogebiet zu mindern. Zusammen mit dem von den Regierungen beschlossenen Stabilisierungsfonds (EFSF und EFSM), haben diese Sondermaßnahmen eine stabilisierende Wirkung auf den Finanzsektor und die wirtschaftliche Aktivität im Eurogebiet entfaltet.

So hat sich die Aktivität am Geldmarkt im Euroraum wieder erhöht und die Finanzierungsbedingungen haben sich verbessert. Auch bei den Einkommen der privaten Haushalte und den Bilanzen der Unternehmen sind Verbesserungen festzustellen, welche die positiven Aussichten für das Wachstum des Eurogebiets, auch vor dem Hintergrund weiterer Haushaltskonsolidierungsbemühungen der Regierungen des Euroraums, stützen. Zudem gehen wir davon aus, dass die Preisstabilität mittelfristig gewährleistet bleibt, wodurch die Kaufkraft der privaten Haushalte im Eurogebiet erhalten bleibt.

Was haben wir nun von den Herausforderungen der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007 für die gemeinsame Geldpolitik gelernt?

Seit Beginn der Finanzkrise ist die Geldpolitik sehr viel komplexer geworden. So haben wir z.B. gesehen, dass die Kontrolle des kurzfristigen Zinses nicht ausreichend war, um die Transmission von Geldpolitik sicherzustellen. Ohne Verlängerung der Laufzeiten für Kredite an Banken und deren mengenmäßige Ausweitung und ohne Flexibilität bei der Akzeptanz der eingereichten Sicherheiten hätten wir eine Kreditverknappung mit Deflationsrisiken haben können. Durch großzügige Liquiditätsbereitstellung, die zur Sicherung der Stabilität des Bankensektors nötig war, hat die Zentralbank zum ersten Mal einen nicht funktionierenden Markt ersetzt.

Spätestens seit August 2007 ist klar, dass die Zentralbank zwar für Preisstabilität sorgen muss, weil dies ein wichtiger Beitrag zur Sicherung unseres Wohlstandes ist, gleichzeitig aber auch ein wachsames Auge auf die Stabilität des Finanzsektors haben muss. Preisstabilität ist und bleibt das Hauptziel unserer Geldpolitik. Damit schaffen wir eine notwendige, aber eben keine hinreichende Voraussetzung für Finanzstabilität.

Unsere Antworten auf die Krise zeigen, welch weitreichende Maßnahmen notwendig waren, um die Stabilität des Finanzsystems zu unterstützen und deflationären Risiken wirksam zu begegnen. Sie zeigen auch, wie unser geldpolitisches Handeln in enger Wechselwirkung mit der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzpolitik aber auch der Finanzmarktregulierung stattfindet.

Ein wesentliches Element für die geldpolitische Transmission ist, dass die Zentralbank den kurzfristigen Zinssatz bestimmt und so Einfluss auf Kreditzinsen für Banken, Unternehmen und Haushalte nimmt. Damit beeinflusst die Zentralbank die gesamtwirtschaftliche Kreditvergabe. Aber auch die Regulierungsbehörden – durch die Festsetzung der Höhe von Eigenkapital – und Banken selber – z.B. durch die Festlegung der Qualität von Sicherheiten oder das Risikomanagement – nehmen einen bedeutenden Einfluss auf Kreditbedingungen und das Kreditvolumen der Banken. Durch die Finanzkrise ist deutlich geworden, dass dies erhebliche gesamtwirtschaftliche Konsequenzen wie z.B. Finanzmarktblasen und damit verbundene deflatorische Risiken haben kann und damit das Handeln der Zentralbank beeinflusst.

Hinsichtlich der Wechselwirkung von Geldpolitik und allgemeiner Wirtschafts- und Finanzpolitik wurden im Maastricht Vertrag aus gutem Grund klare Kriterien für den Euro-Beitritt festgeschrieben. Die Gründer der Währungsunion waren sich sehr wohl bewusst, dass eine gemeinsame Währung nur funktionieren kann, wenn nicht nur ein gewisser Grad von Konvergenz existiert, sondern auch, dass fiskalpolitische Disziplin und verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik unerlässlich ist, nicht zuletzt um Divergenzen in der Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlichen Entwicklung auszugleichen. Die EZB hat beispielsweise in den Jahren vor der Krise mehrfach auf die Risiken steigender Hauspreise in einzelnen Ländern hingewiesen und entsprechende wirtschaftspolitischen Maßnahmen gefordert.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat die Überzeugung von finanzpolitischer Nachhaltigkeit und Koordinierung der Wirtschaftspolitik innerhalb der Währungsunion zur Regel gemacht. Diese wurde aber nach dem Beginn der Währungsunion nur ungenügend eingehalten, besonders nachdem 2004 and 2005 der Stabilitäts- und Wachstumspakt auf Druck einiger Mitgliedsländer gelockert wurde. Zudem ist die Verschuldung der Staatshaushalte in Folge der Finanzkrise erheblich angestiegen. Der Wachstumseinbruch bedeutete Entfall von Steuereinnahmen und Mehrausgaben im Sozialbereich. Außerdem wurden Konjunkturprogramme finanziert, Banken verstaatlicht und rekapitalisiert. Im Euroraum ist der Schuldenstand der Staaten von etwa 65% des Bruttoinlandsproduktes vor der Krise auf derzeit knapp 80% angestiegen. Dies hat in besonders stark verschuldeten Ländern zu weniger Anlegervertrauen und einem damit verbundenem Anstieg in den Refinanzierungskosten geführt.

Länder wie Griechenland und Irland haben stark an wirtschaftspolitischer Glaubwürdigkeit eingebüßt. Kredite seitens der EU Mitgliedsländer und des IWF sowie strenger Auflagen sollen dem entgegenwirken.

Warum aber können so kleine Volkswirtschaften (Griechenland mit 3% des Eurozone BIP und Irland mit 2% Anteil am BIP des gesamten Eurogebiets) die Glaubwürdigkeit der gesamten Währungsunion in Diskussion bringen? Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe. Erstens, die hohe Außenfinanzierung einzelner Länder, zweitens die gewachsene Vernetzung des Finanzsystems innerhalb des Euroraums und drittens die Unsicherheit darüber, wie einzelne Länder politisch auf den wachsenden Druck der Märkte reagieren werden und in welcher Form die anderen Eurostaaten bereit sind Risiken zu übernehmen. Diese Unsicherheit stimuliert den Handel mit Kreditausfallversicherungen auf Staatsanleihen. Die steigende Nachfrage nach diesen Versicherungen wiederum sorgt für steigende Refinanzierungskosten der Regierungen und einen Kursabschlag bei den Staatsanleihen.

Das Muster: angesichts ungünstiger Daten hinsichtlich Wachstum, Staatsverschuldung und Wettbewerbsfähigkeit, zögerlichem Durchführen von Korrekturmaßnahmen, Diskussionen über einen möglichen finanziellen Schutzschirm, Verschlechterung der Kapitalmarkt-Ratings wird einem Land allmählich der Zugang zum Kapitalmarkt immer mehr erschwert, da auch institutionelle Anleger wie z.B. Pensionsfonds – nach erfolgter Zurückstufung der Ratings - keine Papiere mehr kaufen dürfen. Eines der diskutierten Länder zahlt heute einen Zinsaufschlag von 4% (für zehnjährige Laufzeiten) – statt wie vor einem Jahr lediglich 0,7% – obwohl das Budget besser unter Kontrolle ist.

Kein Zweifel, viele der genannten Länder haben Strukturschwächen und es bedarf klarer Ziele und entschlossenem Handeln um sie zu beseitigen. Aber zusätzlich sind sie auch der Beurteilung durch die Finanzmärkte viel stärker ausgesetzt, weil klar ist, dass mit Kreditrisiko für Länder lukrativ gehandelt werden kann. Hier können nur die nationalen Regierungen energisch gegensteuern und Reformen vorantreiben

Die EZB hat in dieser Situation – seit die Stabilität des Euroraums insgesamt diskutiert wird - einen wichtigen Beitrag zur Krisenbewältigung geleistet und der Euro hat sich als Schutzschild bewährt. Ein Fakt, der in der öffentlichen Wahrnehmung etwas in Vergessenheit geraten ist. Ohne den Euro und die gemeinsame Geldpolitik wäre es im Europäischen Währungsgefüge im Zuge der Finanzkrise zu weitaus stärkeren Verwerfungen gekommen. Erfahrungen aus der Vergangenheit belegen, dass starke Wechselkursschwankungen regelmäβig hohe realwirtschaftliche Anpassungskosten nach sich ziehen.

Allerdings kann es nicht allein die Aufgabe der EZB und der gemeinsamen Währung sein, die Stabilität des Euroraums zu gewährleisten.

…was muss getan werden – besonders in den Politikfeldern, die ich gerade angesprochen habe - damit wir auch in Zukunft den Erfolg des Euros garantieren können?

Um aber das Vertrauen in den Euro über den Aspekt der Preisstabilität hinaus langfristig zu sichern, scheinen mir folgende Prioritäten in drei Politikbereichen von besonderer Bedeutung:

  1. eine solide Fiskalpolitik

  2. eine auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und stärkere Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtete Wirtschaftspolitik

  3. eine umfassendere und gestärkte Finanzmarktregulierung und -aufsicht.

Zur Fiskalpolitik: Als Folge der Finanzkrise ist der Schuldenstand in der EU beträchtlich angestiegen. Wie schon erwähnt übersteigen die Defizitquoten und Schuldenstände bei weitem die Festlegungen gemäß des Maastricht Vertrages. Das Vertrauen der Öffentlichkeit und besonders der Finanzmärkte in die öffentlichen Finanzen einzelner Staaten ist beeinträchtigt mit entsprechenden Konsequenzen für die Finanzierungskosten der einzelnen Staaten. So hat vor einem Jahr Griechenland 2% mehr als Deutschland bezahlt, heute beträgt der Zinsabstand 10 %.

Dies zeigt auch, dass Haushaltsprobleme in einzelnen Mitgliedsländern weitreichende Auswirkungen haben können. Es ist daher vordringlich, dass auf europäischer Ebene die Haushaltskonsolidierung den Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts folgt. Es bedeutet auch, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt wirksamer gemacht werden muss. Um Verwerfungen, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt haben zu verhindern, sind ambitionierte Reforminitiativen mit dem Ziel von mehr Transparenz, längerfristiger Orientierung und strikter Einhaltung von Regeln hinsichtlich nachhaltiger Finanzpolitik, zu begrüβen.

Hierzu haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten am 29.10.2010 auf der Basis der Vorschläge der Van Rompuy-Arbeitsgruppe folgende Beschlüsse gefasst:

  • Der Stabilitäts- und Wachstumspakt soll gestärkt werden. Im Rahmen dessen soll die Wechselwirkung von Budgetdefizit und Schuldenstand besser berücksichtigt werden. Neben finanziellen Sanktionen ist auch geplant, dass Sanktionen frühzeitiger im Haushaltsüberwachungsprozess greifen.

  • Die Schaffung eines neuen makroökonomischen Überwachungsrahmens, mit dem entstehende Ungleichgewichte wie auch Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit früher adressiert werden können. Hierzu soll eine begrenzte Anzahl von Indikatoren herangezogen werden, und der Europäische Rat kann in ‚einzelnen Fällen’ bei übermäßigem Ungleichgewicht eine Frist zur Ergreifung politischer Korrekturmaßnahmen setzen. Generell soll auch hier das Verhängen von Sanktionen möglich sein.

  • Einführung des so genannten „ Europäischen Semesters“ zum 1. Januar 2011. Diese Maßnahme führt in jedem Frühjahr eine gleichzeitige Beurteilung der haushaltspolitischen Maßnahmen und der Strukturreformen zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung durch.

Die von Präsident Van Rompuy vorgebrachten Vorschläge bedeuten eine Stärkung des bestehenden Handlungsrahmens für die haushaltspolitische und gesamtwirtschaftliche Überwachung in der EU. Allerdings gehen die angedachten Reformen aus Sicht der EZB nicht weit genug.

Hinsichtlich, der Fiskalpolitik, müssen realistische und hinreichend ambitionierte Fristen zur Korrektur übermäßiger Defizite in den Euro-Ländern gesetzt werden. Zweitens, müssen Regierungen der einzelnen Länder ihre Strategie für die Haushaltskonsolidierung sorgfältig ausarbeiten und diese durch genau spezifizierte Maßnahmen untermauern. Und drittens, werden automatische Sanktionen benötigt, sollten Länder die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht einhalten.

Lassen Sie mich zum zweiten wichtigen Politikfeld kommen: einer auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum und stärkere Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtete Wirtschaftspolitik. Stabile Preise sind eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges Wachstum und zusätzliche Arbeitsplätze. Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass Preisstabilität mit Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum einhergehen kann. Allerdings haben in den letzten Jahren verschiedene Regionen des Euroraums Wachstum vor allem mit Hilfe des Finanzsektors gefördert. In einigen Eurostaaten wurde Produktivitätswachstum vernachlässigt und die Arbeitslosigkeit ist in der Krise gestiegen. Hier sind Wirtschaftsreformen nötig, die Wachstum und Beschäftigung nachhaltig fördern. Derartige Maßnahmen müssen darauf abzielen die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern (Beispiel: Schweden). Mit 10% Arbeitslosigkeit im Euroraum können wir uns nicht abfinden.

Mehr Investitionen in Ausbildung und Forschung sind notwendig. Denn die beste Investition in die Zukunft ist die Investition in die Ausbildung der Menschen. Am Qualifikationsgrad der Bevölkerung lässt sich die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft messen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass verstärkt in die Verbesserung der Ausbildungssysteme, in Forschung und Entwicklung und in neue Technologien investiert wird.

Nur mit einem wettbewerbsfähigen und innovativen Wirtschaftssystem können wir die Grundlage für nachhaltiges und langfristiges Wachstum sichern und strukturelle Unterschiede in den Eurostaaten, die mit zu den Entwicklungen wie wir sie derzeit erleben beigetragen haben, beseitigen.

Die effektive Umsetzung des neugeschaffenen makroökonomischen Überwachungsrahmens durch die Van Rompuy-Gruppe wird daher essentiell sein. Aus Sicht der EZB muss dazu ein klarer Katalog an quantitativen Indikatoren erarbeitet werden und es muss transparente und effektive Warnlichter geben. Außerdem, müssen die Beurteilungen makroökonomischer Ungleichgewichte sowie Empfehlungen zu Korrekturmaßnahmen der Öffentlichkeit in allen Phasen des Überwachungsverfahrens umfassend kommuniziert werden.

Und schließlich, bessere und umfassendere Finanzmarktregulierung und -aufsicht: Die Finanzkrise hat die Bedeutung systemischer Risiken sichtbar gemacht. Die Analyse von Gefahren, die sich aus der wechselseitigen Verstärkung von Einzelrisiken für die Stabilität des Finanzsystems und für die Volkswirtschaft insgesamt ergeben können, war ungenügend. Daher sind auch auf diesem Gebiet Reformen erforderlich, die zu einer verbesserten Regulierung und Überwachung führen. Nur wenn rechtzeitig konkrete Maßnahmen zur Risikobegrenzung ergriffen werden, kann sich die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems erhöhen.

In der Reform der Finanzmarktregulierung wurde bereits einiges erreicht. Besonders mit der Einigung über die neuen Finanzmarktregelungen „Basel III“ des Baseler Ausschusses. Diese sehen eine deutliche Anhebung der bisherigen Kapitalanforderungen und der Liquiditätshaltung für die Finanzinstitute vor. Auch im Bereich von bisher unregulierten oder weniger regulierten Finanzinstituten, wie Investment Fonds und Rating Agenturen werden zaghafte Schritte in Richtung mehr Transparenz unternommen.

Auf dem Gebiet der Finanzmarktaufsicht ist eine wichtige Reform auf den Weg gebracht worden. Der Europäische Rat und das Parlament haben eine Reform des Europäischen Aufsichtssystems beschlossen. Ein Europäisches Finanzaufsichtssystem ist geschaffen worden, das europäische Aufsichtsbehörden für Finanzmärkte, Banken und Versicherungen umfasst.

Außerdem ist ein Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB) geschaffen worden, der zukünftig die Aufgabe übernehmen wird, EU-weit Systemrisiken zu beurteilen und gegebenenfalls Risikowarnungen abzugeben sowie Empfehlungen auszusprechen. Der ESRB ist bei der EZB angesiedelt und die EZB unterstützt diesen administrativ und analytisch.

Es bleibt aber noch viel zu tun, um die Stabilität des Finanzsystems für die Zukunft zu stärken:

Erstens: Ein erhebliches Problem, welches in der Krise sichtbar wurde, ist die Intransparenz vieler Finanzmarktprodukte und deren Risikobewertung. Hier sind die Regulierungsbehörden gefordert, klare und umfassende Richtlinien zu schaffen, um Transparenz dort wieder herzustellen, wo sie verloren gegangen ist, etwa durch Einzelkreditbewertung statt Modellbewertung. Transparenz kann auch erreicht werden, indem mehr Finanzprodukte über zentrale Handelsplattformen wie z.B. Börsen gehandelt und über Clearinghäuser abgewickelt werden. Darüber hinaus müssen Aktivitäten der Nicht-Banken transparenter werden. Dazu gehört auch, die Qualität und Plausibilität der Risikobewertungen von Rating-Agenturen zu verbessern. Lassen Sie mich dazu anmerken, dass ich die Volatilität, die vom Nichtbankenbereich und den Rating-Agenturen verstärkt wird, für problematisch halte. Daher muss das Ziel sein, die Abhängigkeit der Finanzmärkte von den Ratings der Agenturen zu verringern. Das kann durch die schon erwähnte bessere interne Risikobewertung in den Finanzinstituten und durch eine geringere Bedeutung von Ratings für regulatorische Zwecke (z.B. für die Berechnung von Eigenkapitalanforderungen) erreicht werden.

Zweitens: Fehlende Transparenz betrifft auch die Bilanzen und Geschäftspraktiken vieler Finanzinstitute. Die zuständigen Aufsichtsbehörden sind gefordert, Finanzinstitute auf die Tragfähigkeit der Geschäftsmodelle zu durchleuchten, einen eventuellen Rekapitalisierungsbedarf zu ermitteln, und in Problemsituationen schnelle Lösungen zu finden. Banken müssen aber auch in Eigenverantwortung handeln. Hier sollten Banken vor allem ihr Corporate Governance Modell hinsichtlich Risikobewertung, Interessenkonflikte, Anreizstrukturen und Vergütung überdenken und ihr Geschäftsmodell hinsichtlich mehr Transparenz und langfristiger Orientierung verbessern.

Und Drittens: Die Krise hat die Bedeutung von systemweiten Risiken sichtbar gemacht. Um der systemischen Natur von Risiken besser zu entgegnen, muss besonders das Netz der Aufsicht über den Finanzmarkt ausgeweitet werden, um alle systemisch relevanten Finanzinstitutionen, Märkte und Infrastrukturen zu berücksichtigen. Dies gilt besonders, wenn die regulatorischen Anforderungen für den traditionellen Bankensektor verschärft werden und das Risiko besteht, dass traditionelle Bankgeschäfte in weniger regulierte Bereiche des Finanzsektors abwandern. Daher muss weiter daran gearbeitet werden, regulatorische Gleichbehandlung voranzutreiben. Es muss aber auch daran gearbeitet werden das regulatorische Netz und die regulatorischen Anforderungen ständig auf Veränderungen und Innovationen im Finanzmarkt und den dort gehandelten Produkten anzupassen.

Meine Damen und Herren, nur wenn wir auf allen drei Gebieten – der Fiskalpolitik, der allgemeinen Wirtschaftspolitik und der Finanzmarktregulierung und -aufsicht – Fortschritte machen kann die EZB die Stabilität des Euro auch morgen sicherstellen.

Schlussfolgerungen:

Lassen Sie mich abschließend auf meine Ausgangsfragen zurückzukommen: Kann eine Währungsunion ohne politische Union funktionieren? Und welche Rolle spielt die Währungsunion für eine stärkere politische Union?

Der Euro hat sich als Motor der Europäischen Integration erwiesen. Der Erfolg des Euro hat weitere EU Staaten dazu veranlasst den Euro einzuführen. Am 1. Januar 1999 gründeten 11 Länder die WWU; am 1. Januar 2011 ist mit Estland bereits das 17. EU Mitgliedsland der Währungsunion beigetreten, und der Prozess der Euroraum-Erweiterung wird sich auch weiterhin fortsetzen.

Insgesamt hat der Euro durch Währungsstabilität die weitere Integration der Wirtschaft vorangetrieben. Allerdings hat die gemeinsame Währung die Mitgliedstaaten nicht dazu veranlasst, die Wirtschaftspolitik – den zweiten Pfeiler der WWU – verstärkt als gemeinsame Angelegenheit zu behandeln.

Dass dies unabdingbar für ein gutes Funktionieren der Währungsunion und für den Euro als stabile Währung ist, steht – wie eingangs erwähnt – schon im Maastricht Vertrag. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche gemeinsame Währung sind dort klar definiert, nämlich:

  • Ein hoher Grad an dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz.

  • Dauerhaft solide Staatsfinanzen durch die Vermeidung exzessiver Haushaltsdefizite.

  • Ausschluss der Haftung für Verbindlichkeiten anderer Staaten („no-bailout“-Klausel).

  • Und eine enge Koordination der Wirtschaftspolitiken

Die Krise ist eindeutiger Beleg dafür, dass Teile der gemeinsamen Grundlage der Wirtschafts- und Währungsunion nicht umgesetzt wurden. Die Aufgabe der EZB ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Vertrauen in die Euro-Staaten und deren Staatsfinanzen können die Staaten allerdings nur selber – und besonders in gemeinsamer Anstrengung – schaffen. Damit ist die Antwort auf die eingangs gestellte Frage klar: Eine Währungsunion bestehend aus 17 souveränen Staaten ist kein Konstruktionsfehler, eher deuten die derzeitigen Entwicklungen auf Schwächen in der Umsetzung des Konzepts.

Dies betrifft vor allem die bisher fehlende europäische Finanzmarktaufsicht sowie zu wenig politischen Willen zur Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Die Lehre für die Zukunft ist eindeutig. Die Regierungen müssen akzeptieren, was die Mitgliedschaft in einer Währungsunion bedeutet, nämlich verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitik, Budgetdisziplin und wirksame Finanzmarktregulierung. Mehr Zentralbankliquidität ist wichtig, ist aber nicht ausreichend, um das Vertrauen der Märkte in die Eurostaaten wiederherzustellen. Dafür braucht es klare Ziele und konkrete Schritte zur Implementierung der Maßnahmen vonseiten der Regierungen. Dies verlangen wir von Ländern, die dem Euro beitreten wollen, dies muss erst recht verlangt werden, wenn ein Land dem Euro beigetreten ist. Nur dann kann Geldpolitik wirksam und erfolgreich agieren und die Stabilität des Euros sichern.

Helmut Schmidt hat im Jahr 1978, als er mit Valéry Giscard d’Estaing mit dem EWS das Kernstück der Währungsunion geschaffen hat, folgendes geschrieben:

„Trotz ihrer internen Probleme hat die Europäische Gemeinschaft gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten erstaunliche Kraft bewiesen. Deshalb braucht auch niemand seine Geduld mit Europa zu verlieren.“[1]

Ich bin davon überzeugt, dass Europa die notwendigen Schritte unternimmt und dass der Euro auch in Zukunft seine Erfolgsgeschichte fortsetzen wird. Denn zu einem stabilen Euro und einer stabilitätsorientierten Geldpolitik gibt es keine Alternative.

  1. [1]Aus dem Vorwort von Helmut Schmidt für Jean Monnet “Die Erinnerungen eines großen Europäers“.

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