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Krisenbewältigung: Markt versus Staat

Jürgen Stark, Member of the Executive Board and the Governing Council of the European Central Bank, Speech delivered at Franz-Böhm-Kolleg, Siegen, 29 April 2009

Die Vollendung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) am 1. Januar 1999 war nicht nur ein Meilenstein der Währungsgeschichte, sondern auch ein Meilenstein des europäischen Integrationsprozesses. Mit der gemeinsamen Geldpolitik unter der Verantwortung der EZB und dem Euro als gemeinsamer Währung haben die Mitgliedstaaten des Euroraums auf dem Gebiet der Geld- und Währungspolitik den höchsten denkbaren Integrationsgrad erreicht.

Beim Blick zurück auf die vergangenen zehn Jahre kann selbst der kritischste Beobachter nicht verleugnen, dass die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung ein großartiger Erfolg war. Der Euro hat sich als gemeinsame Währung von über 300 Millionen europäischen Bürgern in mittlerweile 16 Ländern fest etabliert und war seit seiner Einführung eine der stabilsten Währungen der Welt.

Die aktuellen Herausforderungen lassen jedoch für ausgiebige Feierlichkeiten wenig Raum. Die Weltwirtschaft steckt in einer schweren Krise. Was als Finanzmarkturbulenzen im Sommer 2007 begann, hat sich seit dem Kollaps der renommierten U.S. amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers im September letzten Jahres zu einer weltweiten Finanz-, Wirtschafts- und Vertrauenskrise ausgewachsen. Der Wettbewerb um die ungünstigsten Wirtschaftsprognosen einerseits und um möglichst umfangreiche staatliche Interventionen andererseits scheint seither kein Ende nehmen zu wollen.

Einige Beobachter ziehen Parallelen zu der Großen Depression der 1930er Jahre und warnen, dass die aktuelle Krise in einer ähnlichen wirtschaftlichen und politischen Kernschmelze münden könnte. Ich teile diese Befürchtungen nicht. Im Gegensatz zu damals verfügen die politischen Verantwortlichen heute über die nötige Weitsicht, ähnliche Fehlentscheidungen zu vermeiden, die einst in die Katastrophe führten. Es wird gelingen, die Krise zu überwinden. Wie schnell dies geschieht, und welche längerfristigen Folgen die Krise nach sich ziehen wird, hängt jedoch entscheidend davon ab, wie wir die Krise bewältigen. Es ist falsch, jedes politische Handeln nur auf seinen kurzfristigen Effekt hin zu beurteilen, von immenser Bedeutung sind vor allem die mittel- bis langfristigen Konsequenzen.

Immerhin gibt es Anzeichen dafür, dass sich die Geschwindigkeit der Talfahrt der Weltwirtschaft verlangsamt und wir einer Stabilisierung näher kommen, die in eine graduelle wirtschaftliche Erholung im Laufe des Jahres 2010 einmünden dürfte.

Ordnungspolitische Grundlagen

Im Zuge der Krise ist es zu einer vorher nicht für möglich gehaltenen Renaissance des Staates in der Wirtschaft gekommen. Es scheint, als sei der Staat allgegenwärtig und allmächtig: er garantiert Bankeinlagen, rettet und verstaatlicht Banken, schnürt dicke Konjunkturpakete. Marktwirtschaftliche Prinzipien werden dabei in den Hintergrund gedrängt, häufig gar als einer schnellen Lösung des Problems im Wege stehend empfunden. Der Hinweis „Wir sind im Krisen-Modus“ scheint jegliches politisches Handeln zu rechtfertigen.

Gleichzeitig ist eine teilweise sehr emotional geführte Grundsatzdebatte über die Ursachen und Folgen der Krise entbrannt. Dabei geben marktkritische Stimmen gegenwärtig eindeutig den Ton an. Die Finanzkrise wird als Krise des marktwirtschaftlichen Systems dargestellt. Es ist von eklatantem Marktversagen die Rede, dem in Zukunft nur durch massive staatliche Eingriffe und Kontrollen vorgebeugt werden könne.

Gerade in der Krise ist es jedoch nötig, sich wohltemperiert zu verhalten, Augenmaß zu bewahren und sich auf grundlegende Prinzipien der Wirtschaftspolitik zu besinnen, die zeitlos gültig sind und sich über viele Jahrzehnte bewährt haben.

Die Finanzkrise, so schwer sie auch sein mag, widerlegt nicht die grundlegende Einsicht, dass die Marktwirtschaft die beste denkbare Wirtschaftsform ist. Die Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts, speziell die deutsche Geschichte, haben klar gezeigt, dass eine marktwirtschaftliche Grundordnung die Basis für Wachstum und Wohlstand ist. Der übermächtigen Rolle des Staates beispielsweise in planwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen war dagegen durchweg ein klägliches Scheitern beschieden. Der dramatische Zusammenbruch der sozialistischen Systeme in Mittel- und Osteuropa vor zwanzig Jahren liegt noch gar nicht so lange zurück, und scheint doch bei vielen schon in Vergessenheit geraten zu sein.

Allerdings zeigt die Finanzkrise, dass unbeaufsichtigte, nach dem laissez-faire Prinzip organisierte Märkte gravierende Fehlentwicklungen und Übertreibungen erzeugen können. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu. Es ist die Erkenntnis, die bereits nach der Weltwirtschaftskrise nach 1929 reifte. [1] Sie bildete die Basis für die Thesen der ordnungspolitischen Denkschule, die von Franz Böhm, Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow und Alfred Müller-Armack geprägt wurde und Grundlage der von Ludwig Erhard konzipierten erfolgreichen deutschen Nachkriegswirtschaftsordnung war.

Die Quintessenz dieser ordnungspolitischen Thesen ist, dass die Realisierung einer dem Wohlstand aller dienenden marktwirtschaftlichen Ordnung effektiver staatlicher Regeln bedarf, die Fehlverhalten und Fehlentwicklungen entgegenwirken. In den Worten Franz Böhms: „[D]ie Rechtsverfassung [muss] dem Wettbewerb eine Ordnung setzen, d.h. sie muss darüber bestimmen, welche Einsätze erlaubt sind, und welche nicht." [2]

Ein unzureichender oder fehlkonzipierter Ordnungsrahmen birgt das Risiko von Machtbildung und Korruption, der Gefährdung der Freiheit und damit der potentiellen Selbstauflösung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Wilhelm Röpke hat das “selbstmörderische“ Potential einer Marktwirtschaft ohne Regeln treffend auf den Punkt gebracht: „ […] Leitbilder bereiten [...] ihren eigenen Untergang vor, wenn sie sich absolut nehmen und die ihnen gesetzten Grenzen missachten. Selbstmord ist hier die durchaus gewöhnliche Todesursache. Die Marktwirtschaft macht von dieser Regel keine Ausnahme.“ [3]

Die Notwendigkeit eines Ordnungsrahmens zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit einer Marktwirtschaft bedeutet jedoch nicht, dass der Staat die Wirtschaft lenken und kontrollieren soll. "Die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates sollte auf die Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses." [4] So hat Walter Eucken die Rolle des Staates in der Marktwirtschaft klar definiert.

Eucken identifizierte in seinem grundlegenden Werk “Grundzüge der Wirtschaftspolitik“ ferner eine Reihe von wirtschaftspolitischen Prinzipien, die für einen effektiven Ordnungsrahmen zur Gewährleistung einer funktionierenden Marktwirtschaft elementar sind:

1. Primat der Währungspolitik.

Preisstabilität ist die Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Preissystem und damit auch die Basis für eine funktionierende Marktwirtschaft. Eucken schreibt: “Alle Bemühungen, eine Wettbewerbsordnung zu verwirklichen, sind umsonst, solange eine gewisse Stabilität des Geldwertes nicht gesichert ist. Die Währungspolitik besitzt daher für die Wettbewerbsordnung ein Primat.“

2. Offene Märkte.

Feier Wettbewerb setzt freien Zugang zu allen Märkten voraus. Die Wirtschaftspolitik sollte daher für die Öffnung und Offenhaltung aller Märkte sorgen, indem sie Handelsschranken und Kartellbildungen entgegentritt.

3. Privateigentum.

Besitz und Erwerb privaten Eigentums ist die Triebfeder des Wettbewerbs. Die Wirtschaftspolitik muss Privateigentum daher schützen und respektieren. Allerdings sollte sie auch nicht Anreize für nicht tragfähigen Eigentumserwerb setzen, beispielsweise die Illusion vom Immobilienbesitz für jedermann.

4. Haftung.

“Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen“, schreibt Eucken. Dem Haftungsprinzip kommt im Leistungswettbewerb eine wichtige Funktion zu, indem es sicherstellt, dass sich die Qualität einer Leistung angemessen in der Entlohnung widerspiegelt, im guten wie im schlechten Fall. Dieses Prinzip wirkt damit auch “prophylaktisch gegen eine Verschleuderung von Kapital“, wie Eucken betont.

5. Vertragsfreiheit.

In einer freien Wirtschaftsordnung sollte jeder frei darüber entscheiden können, mit wem er wirtschaftliche Beziehungen, sprich Verträge, eingeht. Verträge dürfen jedoch nicht im Widerspruch zu anderen konstituierenden Prinzipien der freien Wettbewerbsordnung stehen, indem sie beispielsweise das Prinzip offener Märkte oder der Haftung außer Kraft setzen.

6. Konstanz der Wirtschaftspolitik.

Um richtig funktionieren zu können, benötigt eine Marktwirtschaft stabile wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Eine ständig wechselnde Wirtschaftspolitik wirkt verzerrend und verunsichernd. Neben der Ausrichtung der Geldpolitik an der Gewährleistung der Preisstabilität müssen daher auch die übrigen Bereiche der Wirtschaftspolitik stabilitätsorientiert und mittelfristig ausgerichtet sein.

Als Franz Böhm und Walter Eucken vor mehr als einem halben Jahrhundert ihre Thesen verfassten, konnten sie die Nöte, in welche die globalisierte Finanzwelt mit all ihren innovativen Finanzprodukten und Geschäftspraktiken heute ist, nicht erahnen. Doch zeigt sich gerade in der gegenwärtigen Situation die zeitlose Gültigkeit der von ihnen formulierten ordnungspolitischen Grundsätze und Prinzipien. Sie ermöglichen ein richtiges Verständnis der Krisenursachen und -konsequenzen und weisen den Weg für ein effektives und angemessenes Management der Krise.

Krisenbewältigung I: Die Ursachen der Krise

Regional betrachtet liegt das Epizentrum der Krise nicht in Kontinentaleuropa. Aber Europa ist über den Finanz- und Handelskanal erheblich von der Krise betroffen. Von der Sache her liegt der Ausgangspunkt der Krise in einer signifikanten Unterschätzung und Unterbewertung von Risiken und damit verbundenen Spekulations- und Verschuldungsexzessen in den Jahren vor Ausbruch der Turbulenzen. Die Symptome dieser Exzesse waren

  • extrem niedrige Risikospannen auf den globalen Finanz- und Kapitalmärkten;

  • in einigen Ländern spektakuläre Anstiege von Vermögenswerten, vor allem von Immobilienpreisen, verbunden mit einer signifikanten Ausweitung der Verschuldung privater Haushalte; sowie

  • massive globale Ungleichgewichte in Form von hohen Leistungsbilanzdefiziten einiger Industrieländern und Leistungsbilanzüberschüssen auf Seiten einiger Schwellenländer

Die Grundlage der Exzesse war eine Kombination aus

  • trügerisch günstigen makroökonomischen Bedingungen, und

  • der Verbreitung innovativer Finanzprodukte zum Transfer von Kreditrisiken.

Die günstigen makroökonomischen Bedingungen im Vorfeld der Krise waren gekennzeichnet durch ein anhaltend robustes Wachstum der Weltwirtschaft, niedrige Inflationsraten, geringe Kreditausfallraten sowie extrem niedrige kurz- und langfristige Zinsniveaus. Die kurzsichtige Extrapolation dieses Umfelds durch Banken und Investoren führte dazu, dass die mit Kreditgewährung und Finanzinvestitionen verbundenen Risiken allgemein unterschätzt wurden. Gleichzeitig löste das extrem niedrige Zinsniveau eine aggressive Jagd nach Rendite aus, bei der potentielle Risiken zum Teil völlig aus den Augen verloren wurden.

Diese Fehlentwicklungen wurden durch eine rapide Ausweitung innovativer Kreditverbriefungen im globalen Finanzsystem potenziert. Banken verpackten die von ihnen vergebenen Kredite in neuartige, hochgradig komplexe Finanzinstrumente und verkauften diese dann über den globalen Kapitalmarkt an Finanzinvestoren weiter.

Prinzipiell ist die Verbriefung von Krediten positiv zu sehen, weil damit Risiken breiter und effizienter gestreut werden können. Diese positiven Effekte wurden jedoch durch eine Reihe eklatanter Konstruktionsfehler im globalen Finanzsystem überlagert.

  • Auf Seiten der Banken kam es zu erheblichen Nachlässigkeiten bei der Kreditwürdigkeitsprüfung. Die Kreditrisiken waren nur noch durchlaufende Posten. So wurden in großem Umfang Kredite an eigentlich nicht kreditwürdige Kreditnehmer vergeben. Das anschaulichste Beispiel hierfür sind die unter der Bezeichnung ninja loans bekannt gewordenen Hypothekenkredite an Kreditnehmer ohne Einkommen, Job und Vermögen.

  • Trotz der komplexen Natur der neuartigen Finanzinstrumente und der mangelnden Erfahrung mit ihrer Wertentwicklung über den Kreditzyklus wurden für diese Instrumente relativ hohe Ratings vergeben, die bei vielen Investoren den Eindruck erweckten, diese Instrumente wären beinahe so sicher wie erstklassige Staatsanleihen, brächten aber höhere Renditen. Damit waren sie sozusagen ein „gefundenes Fressen“ auf der globalen Jagd nach Rendite.

  • Als zusätzlicher Akzelerator der Exzesse wirkten kurzfristig angelegte Bonussysteme als zentrales Entlohnungselement der Finanzindustrie. Die damit verbundene hohe Belohnung kurzfristiger Profite bei vollständiger Ignorierung potentieller längerfristiger Risiken förderte zusätzlich eine exzessive Risikoneigung, sowohl bei Bankmanagern als auch bei Finanzinvestoren.

Die Verbreitung von Kreditrisiken mittels hoch komplizierter strukturierter Finanzprodukte über die globalen Kapitalmärkte führte zu einer extrem komplexen Vernetzung der Finanzsysteme. Weltweit investierten Banken und Finanzinvestoren in großem Umfang in Wertpapiere, die mit Krediten unbekannter Bonität unterlegt waren und setzten sich damit schwer einschätzbaren Kreditrisiken aus.

Zunehmende Kreditausfälle im Subprime-Segment des U.S. Hypothekenmarktes in der ersten Jahreshälfte 2007 waren dann der Auslöser für eine allgemeine Anpassung der Risikoeinschätzung und -bewertung auf den internationalen Finanzmärkten. Aus der vorhergehenden exzessiven Risikoneigung wurde schlagartig eine ausgeprägte Risikoaversion, die sich in einer deutlichen Ausweitung der Risikospannen niederschlug. Auf vielen Märkten für strukturierte Finanzprodukte ist es allerdings nicht zu einer Anpassung der Preise, sondern zu einem vollständigen Austrocknen gekommen. Folglich war es nicht mehr möglich, für viele Wertpapiere einen Marktpreis zu ermitteln. Für zahlreiche Banken und Investoren wurde dadurch ein beträchtlicher Teil ihrer Aktiva illiquide. Aus innovativen Finanzprodukten wurden toxische Wertpapiere.

Oberflächlich betrachtet wurden die globalen Spekulations- und Verschuldungsexzesse im Vorfeld der Krise durch Verantwortungslosigkeit, Gier und Inkompetenz der global agierenden Finanzmarktakteure verursacht. Dieser Befund greift jedoch zu kurz. Die Fehlentwicklungen im Finanzsektor im Vorfeld der Krise wurden durch Staatsversagen entscheidend begünstigt: es fehlte der Rahmen, der die wettbewerbliche Ordnung der Wirtschaft sicherstellte.

Der Ordnungsrahmen der Finanz- und Kreditmärkte vor der Krise verletzte reihenweise die von Eucken identifizierten wirtschaftspolitischen Prinzipien. Es wurde vor allem versäumt, durchgängig das Haftungsprinzip zu gewährleisten. Die allgemeine exzessive Risikoneigung als Ausgangspunkt der Krise resultierte vorrangig daraus, dass viele Marktakteure die von ihnen eingegangenen Risiken auf andere abwälzten und nicht selbst tragen mussten.

Lückenhafte aufsichtsrechtliche Regeln ermöglichten es den Banken, ihre Kreditvergabe exzessiv auszuweiten und sich der Haftung für die damit verbundenen Risiken durch Kreditverbriefungen zu entziehen. So unterlagen Hypothekenmärkte in manchen Ländern einer zersplitterten und zum Teil gar keiner aufsichtsrechtlichen Kontrolle. Aufsichtsrechtliche Lücken ermöglichten weltweit das Umgehen bilanzieller Vorschriften mittels der bereits erwähnten innovativen Finanzprodukte. Die Ausgestaltung von Eigenkapital- und Bilanzierungsrichtlinien förderten zusätzlich ein pro-zyklisches Kreditvergabeverhalten der Banken.

Die sich auf Basis dieses mangelhaften Ordnungsrahmens entfaltenden spekulativen Übertreibungen wurden durch eine zu expansiv ausgerichtete globale Makropolitik zusätzlich verstärkt. Die bereits erwähnten massiven globalen Ungleichgewichte waren dabei sowohl Spiegelbild als auch Katalysator der exzessiv expansiven monetären Rahmenbedingungen.

Krisenbewältigung II: Krisenmanagement

Seit Ausbruch der Krise sahen sich Regierungen und Zentralbanken gezwungen, massiv einzugreifen, um einen Zusammenbruch des globalen Finanzsystems zu verhindern. Welche längerfristigen Folgen die Krise nach sich ziehen wird, wird entscheidend von der Qualität des Krisenmanagements abhängen.

Die Notenbanken stehen in der Krisenbekämpfung seit Ausbruch der Turbulenzen an vorderster Front. Sie stabilisieren den Geldmarkt durch massive Liquiditätszufuhren und stützen die Wirtschaft durch Zinssenkungen.

Die öffentliche Diskussion dreht sich nur noch um die Frage, was die Zentralbanken noch zusätzlich tun können, um die Finanzsektoren und Volkswirtschaften zu stabilisieren. In einem solchen Umfeld müssen Zentralbanken darauf achten, nicht zu Getriebenen zu werden und dabei die grundlegenden Prinzipien stabilitätsorientierter Geldpolitik nicht aus den Augen zu verlieren.

Das grundlegende Leitbild einer stabilitätsorientierten Geldpolitik ist die Gewährleistung der Preisstabilität. Wie bereits erwähnt hatte schon Walter Eucken das Primat der Preisstabilität als entscheidendes konstituierendes Prinzip einer funktionierenden marktwirtschaftlichen Grundordnung hervorgehoben. Es besteht heute ein weitgehender Konsens zwischen Notenbankern und Wirtschaftswissenschaftlern, dass Preisstabilität das eindeutige, prioritäre Ziel der Geldpolitik sein muss.

Dieser Konsens gründet auf der Erkenntnis, dass

  • Preisstabilität eine grundlegende Voraussetzung für wirtschaftliche und finanzielle Stabilität und Prosperität ist, da dadurch die Signal- und Informationsfunktion des Preismechanismus sicher gestellt und inflationsbedingte Verzerrungen vermieden werden; und

  • die Geldpolitik mit dem ihr zu Verfügung stehenden Instrumentarium effektiv nur Preisstabilität, nicht jedoch andere Ziele verfolgen kann.

Zur effektiven Gewährleistung der Preisstabilität müssen einige grundlegende Prinzipien stabilitätsorientierter Geldpolitik beachtet werden, die sich aus den geldpolitischen Erfahrungen der Vergangenheit und den Erkenntnissen der Wirtschaftswissenschaft herauskristallisiert haben. Lassen Sie mich die wichtigsten dieser Prinzipien kurz erläutern.

  1. Preisstabilität muss das prioritäre Ziel für die Geldpolitik sein. Darauf muss sie mit einem klaren Mandat verpflichtet werden.

  2. Die Zentralbank muss dieses Mandat mit hoher Glaubwürdigkeit verfolgen und damit die Inflationserwartungen fest verankern.

  3. Die Zentralbank muss mit einem hohen Grad an institutioneller Unabhängig ausgestattet sein, damit sie das Ziel der Preisstabilität frei von jedweder politischer Einflussnahme verfolgen kann.

  4. Die Zentralbank muss in ihrem Handeln transparent sein, zur Bewahrung ihrer Legitimation als unabhängige Institution und zur Förderung ihrer Glaubwürdigkeit.

  5. Die Geldpolitik muss Preisstabilität über einen mittelfristigen Horizont verfolgen, um der Wirkungsverzögerung geldpolitischer Maßnahmen Rechnung zu tragen und ineffektivem Aktionismus vorzubeugen.

  6. Geldpolitische Entscheidungen müssen sich auf einen umfassenden Analyserahmen stützen, damit alle relevanten Informationen berücksichtigt werden.

  7. Die Festlegung des geldpolitischen Kurses zur Gewährleistung der Preisstabilität und die Umsetzung dieses Kurses über das Liquiditätsmanagement auf dem Geldmarkt sollten klar voneinander getrennt sein.

Diese Prinzipien sind zum großen Teil im währungspolitischen Ordnungsrahmen des Euroraums, der sich aus den Vorschriften des EG Vertrages und der geldpolitischen Strategie der EZB zusammensetzt, fest verankert.

Der im EG Vertrag festgelegte institutionelle Rahmen der gemeinsamen Geldpolitik ist durch zwei zentrale Merkmale gekennzeichnet:

  1. Ein klares Mandat für die EZB, Preisstabilität zu gewährleisten.

  2. Ein hohes Maß an institutioneller Unabhängigkeit der EZB.

Auf Basis dieses institutionellen Rahmens sichert die geldpolitische Strategie der EZB eine glaubwürdig, effektiv und transparent auf die Gewährleistung der Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik. Die zentralen Merkmale der geldpolitischen Strategie der EZB sind:

  1. Eine klare Definition des Preisstabilitätsziels als ein mittelfristiger Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpeisindex (HVPI) für den Euroraum von unter aber nahe 2% gegenüber dem Vorjahr.

  2. Ein umfassender Analyserahmen in Form eines Zwei-Säulen Ansatzes zur Einschätzung der Risiken für die Preisstabilität, bestehend aus der wirtschaftlichen Analyse zur Einschätzung der kurz- bis mittelfristigen Risiken und der monetären Analyse zur Einschätzung der mittel- bis langfristigen Risiken.

Die stabilitätsorientierte Währungsordnung des Euroraums war die Grundlage für die erfolgreiche Geldpolitik der EZB in den ersten zehn Jahren der Währungsunion. Vor allem seit Ausbruch der Finanzkrise sind die Vorteile einer mittelfristig stabilitätsorientierten Geldpolitik besonders zum Tragen gekommen. In einem Umfeld, das von großer Verunsicherung geprägt ist, wie gegenwärtig der Fall, muss die Zentralbank durch die glaubwürdige Ausrichtung der Geldpolitik am Ziel der Preisstabilität Unsicherheiten über den geldpolitischen Kurs minimieren und die Inflationserwartungen sicher auf niedrigem Niveau verankern.

Die von der EZB seit Ausbruch der Krise ergriffenen Maßnahmen umfassen zum einen Ausweitungen der Liquiditätsversorgung am Geldmarkt und, seit der Verschärfung der Krise im Herbst letzten Jahres, eine signifikante Lockerung des geldpolitischen Kurses.

Aufgrund der hohen Unsicherheit darüber, in welchem Umfang sie selbst und andere Banken von der Finanzkrise betroffen waren, sind die Kreditinstitute seit Ausbruch der Krise dazu übergegangen, Liquidität zu horten. Dies hat weltweit zu erheblichen Funktionsstörungen auf den Interbankenmärkten geführt, auf denen sich Banken gegenseitig Geld leihen. Da auch die Banken des Euroraums in die globalen Kredit- und Spekulationsexzesse verstrickt waren, ist es auch hier seit Ausbruch der Turbulenzen zu erheblichen Liquiditätsengpässen auf den Interbankenmärkten gekommen.

Wir haben im Sommer 2007 unverzüglich auf die ersten Spannungen an den Geldmärkten im Euroraum reagiert. Der Interbankenmarkt wurde mit umfangreichen Liquiditätszufuhren unterstützt. Die Verschärfung der Krise seit Oktober 2008 erforderte weitere Maßnahmen der EZB, die nicht dem üblichen Standard entsprechen. Den extremen Spannungen an den Geldmärkten musste effektiv entgegengewirkt werden und die Zahlungsunfähigkeit solventer Banken musste vermieden werden. Mit den eingeleiteten Maßnahmen ist die EZB auch Risiken eingegangen. Unsere Bilanz hat sich seit Sommer 2007 um über 600 Mrd. Euro ausgeweitet, auf inzwischen ca. 18 % des BIP des Euroraums.

Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass die von uns ergriffenen Liquiditätsmaßnahmen temporärer Natur sind und automatisch zurückgeführt werden, sobald sich die Lage an den Geld- und Finanzmärkten wieder entspannt. Die umfangreiche Ausweitung der Liquiditätsversorgung des Geldmarktes stellt somit keine permanente Ausweitung der monetären Liquidität dar.

Die Verschärfung der Krise seit Oktober vergangenen Jahres hat die weltwirtschaftliche Lage und damit auch den Ausblick auf die preisliche Entwicklung im Euroraum dramatisch verändert. Die Erkenntnisse aus der monetären und der wirtschaftlichen Analyse wiesen immer stärker auf eine erhebliche Entspannung der Risiken für die Preisstabilität im Eurogebiet hin. Auch die Geldmenge und Kreditaggregate haben sich schrittweise zurück entwickelt. Die Inflationsrate ist im Euroraum deutlich gesunken. Im März betrug sie 0,6 % gegenüber dem Vorjahr.

Vor diesem Hintergrund hat die EZB seit Oktober letzten Jahres den Leitzins in mehreren Schritten deutlich um insgesamt 300 Basispunkte von einem Niveau von 4,25% auf aktuell 1,25% gesenkt. Diese massive geldpolitische Lockerung stellt einen erheblichen, vor dem Hintergrund der beobachtbaren wirtschaftlichen und preislichen Entwicklung jedoch angemessenen monetären Stimulus dar. Die Wirkung dieser Zinssenkungen muss sich erst noch vollständig entfalten.

Trotz dieser in Ausmaß und Tempo im Euroraum beispiellosen Lockerung der Geldpolitik sieht sich die EZB Forderungen gegenüber, dem Beispiel anderer Notenbanken zu folgen und den Leitzins noch weiter in Richtung Null Prozent zu senken, um einen maximalen geldpolitischen Stimulus zu erzeugen. Andere Notenbanken können für uns jedoch nicht beispielgebend sein, weil sie in einem anderen Umfeld operieren. Im Euroraum gibt es keine Anhaltspunkte für eine drohende Deflation. Gegenwärtig sehen wir ein solches Risiko als sehr gering an. Im Gegensatz zu anderen Regionen kommt im Eurogebiet dem Bankensektor bei der Transmission geldpolitischer Impulse große Bedeutung zu.

Wir werden über den verbliebenen maßvollen zinspolitischen Spielraum am 7. Mai entscheiden. Gleichzeitig werden wir über zusätzliche Nicht-Standard-Maßnahmen beschließen, die wir einsetzen, wenn unsere Zinsuntergrenze erreicht ist.

In der Hitze der Debatte gilt es, die Möglichkeiten und Grenzen der Geldpolitik nicht aus den Augen zu verlieren. Die Geldpolitik kann und soll mit dem ihr zur Verfügung stehenden Instrumentarium nur ein Ziel verfolgen, die Gewährleistung der Preisstabilität auf mittlere Sicht. Die EZB verfügt nicht über die Mittel, die eigentliche Ursache der Vertrauenskrise zu beseitigen, die in den Struktur- und Solvenzproblemen des Finanzsystems liegt. Dies ist Aufgabe der Regierungen.

Die von den Regierungen zur Krisenbekämpfung auf den Weg gebrachten Maßnahmen lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen:

  • Rettungspakete für den Finanzsektor bestehend aus Einlagen- und Bankschuldgarantien sowie Rekapitalisierungsmaßnahmen.

  • Konjunkturpakete zur Abfederung des realwirtschaftlichen Abschwungs.

Diese umfangreichen Rettungs- und Stützungsmaßnahmen haben bereits zu einer erheblichen Ausweitung der Präsenz des Staates in der Wirtschaft geführt. Es scheint kein Problem zu geben, das nicht ohne den Staat gelöst werden kann und dessen der Staat nicht bereit ist, sich wohlwollend anzunehmen. Regierungen agieren als Feuerwehr, die die ausbrechenden Brände überall in der Wirtschaft zu löschen versucht. Angesichts des Ausmaßes der Krise besteht kein Zweifel, dass Löschmaßnahmen notwendig wurden. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass Löschwasser, sprich Steuergelder, nicht in unbegrenztem Umfang zur Verfügung steht. Die Brandbekämpfung sollte sich daher auf den Brandherd konzentrieren, auch um zu vermeiden, dass der Wasserschaden am Ende größer ist als der mögliche Brandschaden.

Eine effektive und nachhaltige Lösung der Wirtschaftskrise wird daher nur möglich sein, wenn sich die Fiskalpolitik

  • auf die Lösung der Hauptursache der Vertrauenskrise konzentriert, das heißt auf die Lösung des Solvenzproblems im Bankensektor,

  • in ihrem Vorgehen die langfristige Solidität und Tragfähigkeit der Staatsfinanzen nicht gefährdet.

Banken nehmen im Euroraum eine zentrale Rolle im Finanzierungskreislauf unserer Marktwirtschaft ein. Aus diesem Grund ist ein funktionierendes, gesundes Bankensystem eine wichtige Voraussetzung für Wirtschaftswachstum. Schon in der Vergangenheit waren Bankenkrisen häufig Auslöser für schwere Wirtschaftskrisen. Dies ist auch jetzt der Fall. Die Wirtschaftskrise, die wir gegenwärtig erleben, ist das Ergebnis einer schweren globalen Bankenkrise. Der Schüssel zur Bewältigung der Wirtschaftskrise liegt entsprechend in der Bewältigung der Bankenkrise. Die fiskalpolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise sollten sich daher darauf konzentrieren, die notwendige Restrukturierung, Konsolidierung und Rekapitalisierung des Bankensystems zu unterstützen.

Die von den Regierungen zur Stützung der Finanzsysteme beschlossenen Maßnahmen in Form von Garantien und Kapitalzuschüssen waren richtig und erforderlich, um das internationale Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren. Diese Maßnahmen stellen jedoch keine Dauerlösung dar. Es ist letztlich Aufgabe der Banken selbst, die von ihnen verursachten Probleme in den Griff zu bekommen und das Vertrauen in die eigene Stabilität wieder herzustellen. Der Staat kann und soll hierbei nur unterstützend wirken, wobei er sich an ordnungspolitischen Grundprinzipien orientieren sollte.

  • Jede staatliche Intervention verändert das Verhalten der Wirtschaftssubjekte und führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Diese sind umso stärker, je länger die staatliche Intervention anhält. Deshalb dürfen staatliche Eingriffe nur Minimaleingriffe sein und Marktstrukturen nicht stören.

  • Auch bei der Lösung der Krise muss das Prinzip des Privateigentums gelten. Der Staat ist nicht der bessere Banker. Bekanntlich sind gerade auch Staatsbanken tief in die Spekulationsexzesse verstrickt. Dauerhafte staatliche Kontrolle über den Finanzsektor stellt somit keine Option dar. Staatsbeteiligungen an Banken, die sich aus Rekapitalisierungs- oder Rettungsmaßnahmen ergeben, müssen daher wieder aufgelöst werden, sobald sich die Lage normalisiert.

  • Obgleich die Aufrechterhaltung des Finanzierungskreislaufs das letztendliche Ziel der staatlichen Stützungsmaßnahmen im Finanzsektor ist, sollten die Regierungen die Banken nicht per Dekret auf eine bestimmte Ausweitung der Kreditvergabe verpflichten. Die Banken müssen im Sinne der Vertragsfreiheit selbst entscheiden können, wem sie unter den gegebenen Bedingungen Kredit gewähren und wem nicht. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die notwendigen Anpassungsprozesse im Finanzsektor konterkariert werden.

  • Die Regierungen müssen stets im Auge behalten, dass dem Prinzip der Haftung ausreichend Rechnung getragen wird. Die Rettungsmaßnahmen dürfen nicht dazu führen, dass die Kosten vergangener Spekulationsexzesse gänzlich zu Lasten der Steuerzahler gehen.

Im Gegensatz zu den Stützungsmaßnahmen für den Finanzsektor kann man von den beschlossenen konjunkturpolitischen Maßnahmen nicht ohne weiteres behaupten, dass sie zur nachhaltigen Bewältigung der Krise geeignet sind. Im Gegenteil. Es besteht die Gefahr, dass sie möglicherweise mehr schaden als nutzen.

Aktivistische Konjunkturpolitik wirkt potentiell verzerrend, weil in ihrem Rahmen nur bestimmte, meist nicht die produktivsten Bereiche der Wirtschaft gefördert werden, andere dagegen nicht. Im Gegensatz zum Bankensektor kann man von anderen Wirtschaftssektoren nicht behaupten, dass sie für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft von elementarer Bedeutung sind. Das Argument, der Staat müsse auch andere Branchen gezielt stützen, weil er ja auch die Banken rette, verfängt somit nicht.

Die Erfahrungen der Vergangenheit haben zudem gezeigt, dass eine konjunkturpolitisch motivierte Ausweitung der Staatsverschuldung meist nicht zurückgeführt wird, wenn sich die wirtschaftliche Lage bessert. Die so resultierende dauerhafte Ausweitung der Staatsschuld führt zu einer langfristigen Erhöhung der Steuerbelastung der Wirtschaft und der Kapitalmarktzinsen. Damit ist zum einen fraglich, ob konjunkturpolitische Maßnahmen überhaupt kurzfristig expansive Effekte auf die gesamte Wirtschaft erzeugen können, da Konsum und Investitionen möglicherweise in Erwartung der zukünftigen Belastungen zurückgefahren werden. Zum anderen besteht die Gefahr, dass die aus höheren Steuern und Zinsen resultierenden negativen Effekte auf die Investitionstätigkeit dauerhaft das Wachstumspotential der Wirtschaft schwächen.

Es muss vermieden werden, im Zuge der aktuellen Krise die Fehler der 1970er Jahre zu wiederholen. Damals versuchten Regierungen in großem Stil mit Konjunkturprogrammen den vor dem Hintergrund der Ölpreisschocks sinkenden Wachstums- und steigenden Arbeitslosenraten entgegenzusteuern. Diese Politik war das Gegenteil dessen, was man unter einer von Konstanz geprägten Wirtschaftspolitik versteht. Sie trug entsprechend erheblich zu der hohen Instabilität der Wirtschaftsentwicklung in den 1970er Jahren bei. Darüber hinaus bewirkten diese Programme eine enorme, in vielen Ländern dauerhafte Ausweitung der Staatsverschuldung. Die erwünschten positiven Effekte auf die Realwirtschaft wurden dagegen nicht erreicht. Vielmehr führte die Ausweitung der Staatsverschuldung zu einer Verdrängung privater Investitionen und zu höheren Steuern. Das Wachstumspotential vieler Länder leidet noch heute unter der Schuldenlast, die von der verfehlten Politik übrig blieb.

Die Politiker müssen diese Lektion der Geschichte beherzigen. Das Vertrauen der Bürger in mittelfristig solide Staatsfinanzen darf im Zuge der Krise nicht verloren gehen. Ansonsten werden sich die fiskalischen Stimulusmaßnahmen als kontraproduktiv erweisen. Um dies zu vermeiden, brauchen die Regierungen eine glaubwürdige Exit-Strategie. Sie müssen sich glaubhaft dazu verpflichten, sich wieder aus der Wirtschaft zurückzuziehen und die Staatsverschuldung wieder zurückzufahren, sobald sich die wirtschaftliche Lage normalisiert. Eine solche Verpflichtung besteht für die Regierungen der Euroraumländer in Form der Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts. Es liegt im eigenen Interesse der Regierungen, dass die Glaubwürdigkeit des Pakts in der Krise nicht leidet.

Krisenbewältigung III: Lehren aus der Krise

Die Analyse der Krisenursachen hat gezeigt, dass eine lücken- und fehlerhafte Regulierung und Aufsicht des Finanzsektors ein entscheidender Faktor auf dem Weg in die Krise war. Der laissez-faire Ansatz als Leitbild der globalen Finanzmarktarchitektur ist gescheitert.

Ein Paradigmenwechsel ist angezeigt. Eine effektivere und entschlossenere regelgebende und regeldurchsetzende Rolle des Staates auf den Finanzmärkten wird erforderlich sein, um zukünftig schwerwiegenden Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie sich jetzt ereignet haben, entgegenzuwirken. Diese Ansicht findet mittlerweile weit reichende Akzeptanz, auch in angelsächsischen Ländern, und spiegelt sich in den internationalen Initiativen zur Reform der globalen Finanzmarktarchitektur wieder. Die Staats- und Regierungschefs der G20 haben sich auf dem Weltfinanzgipfel von London darauf verpflichtet, die Regulierung und Aufsicht des globalen Finanzsystems zu stärken. Die hierzu gefassten Beschlüsse umfassen Initiativen für

  • eine strengere Regulierung des Finanzsystems, sowie

  • eine Stärkung der internationalen Kooperation in der Finanzaufsicht.

Es wird darauf ankommen, die richtige Balance zwischen notwendiger Kontrolle und Freiheit der Märkte zu finden. Auch hierfür sind grundlegende ordnungspolitische Erwägungen hilfreich.

Der neue Ordnungsrahmen für den Finanzmarkt sollte sich auf das Festlegen grundsätzlicher Regeln konzentrieren und nicht in langen Listen von Einzelmaßnahmen münden, die zwangsläufig unvollständig und damit ineffektiv und verzerrend wären.

Die Neuausrichtung der globalen Finanzmarktarchitektur muss sich an den grundlegenden Prinzipien der Ordnungspolitik orientieren. An allererster Stelle steht dabei die effektive und glaubwürdige Verankerung des Haftungsprinzips im Ordnungsrahmen der globalen Finanzmärkte, um spekulativen Exzessen vorzubeugen. Es muss allen Marktteilnehmern klar sein, dass sie die Konsequenzen der Risiken, die sie eingehen, selbst tragen müssen. Neue Regelungen dürfen dabei jedoch nicht zu unangemessenen Einschränkungen des Prinzips offener Märkte, des privaten Eigentums und der freien Wahl und Ausgestaltung finanzieller Verträge führen, da genau dies die Funktionsfähigkeit und Innovationskraft der globalen Finanzmärkte beeinträchtigen würden.

An diesen Prinzipien ausgerichtete Regelungen sollten in allen Ländern, auf allen Märkten und für alle Marktteilnehmer gelten. Dies ist erforderlich, um zu vermeiden, dass die Regelungen durch regulatorische Arbitrage unterlaufen werden und erneut regulatorische Lücken entstehen. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig und begrüßenswert, dass die Reformen auf Grundlage der bereits erwähnten internationalen Initiativen vorangetrieben werden.

Lehren sind jedoch nicht nur in Bezug auf den strukturellen Rahmen des globalen Finanzsystems zu ziehen. Wie ich bereits erwähnt habe, wurden die den Turbulenzen vorausgegangenen Verschuldungsexzesse auch durch eine zu expansive Ausrichtung der globalen Geldpolitik angetrieben.

Die Zentralbanken in den Industrie- und Schwellenländern sollten folglich in Zukunft versuchen zu vermeiden, durch ihre Geldpolitik die Bildung globaler finanzieller Ungleichgewichte zu begünstigen. Dies kann dadurch erreicht werden, dass die nationalen Geldpolitiken effektiv an der Gewährleistung inländischer Preisstabilität auf mittlere Sicht ausgerichtet werden.

Die Tatsache, dass die Finanzkrise ihre Ursprünge in einer Zeit hat, die durch weltweit historisch niedrige Inflationsraten gekennzeichnet war, zeigt einmal mehr, dass ein alleiniger Fokus der Geldpolitik auf die kurzfristige Inflationsentwicklung zu kurz greift. Aus finanziellen Fehlentwicklungen resultierende längerfristige Risiken für die Preisstabilität können dann nämlich leicht übersehen werden. Die EZB trägt im Rahmen ihrer Zwei-Säulen-Strategie, bei der auf die Analyse monetärer und finanzieller Entwicklungen besonderes Gewicht gelegt wird, solchen Risiken automatisch angemessen Rechnung.

Tatsächlich hat sich unsere Zwei-Säulen-Strategie im Vorfeld der Krise als sehr nützlich erwiesen. Die monetäre Säule signalisierte bereits im Jahr 2005 auf Grund der starken Geldmengen- und Kreditausweitung deutliche Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität. Gleichzeitig interpretierten wir die starke monetäre Expansion vor dem Hintergrund des empirisch nachgewiesenen engen Zusammenhanges zwischen der Entwicklung von Vermögenspreisen und Geldmengen- und Kreditaggregaten. Sie war ein klares Warnsignal für mögliche entstehende Ungleichgewichte auf den Märkten für Vermögenswerte - vor allem auf den Immobilienmärkten. Diese Signale aus der monetären Analyse waren ausschlaggebend für unsere Entscheidung, die Leitzinsen bereits ab Dezember 2005 sukzessive anzuheben – trotz anfangs noch gemischter Signale aus der wirtschaftlichen Analyse. Dieses frühzeitige Einschlagen eines restriktiven geldpolitischen Kurses könnte auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die finanziellen Ungleichgewichte im Euroraum bei weitem nicht so stark ausgeprägt waren wie dies in anderen Ländern der Fall war.

Abschließende Bemerkungen

Die Finanzkrise stellt die marktwirtschaftliche Grundordnung nicht in Frage, wie von mancher Seite behauptet wird. Sie zeigt jedoch, dass das Prinzip unregulierter Finanzmärkte, in denen dem Staat lediglich die Rolle des Retters aus der Not zukommt, nicht tragfähig ist. Die von Franz Böhm und Walter Eucken entwickelten ordnungspolitischen Grundsätze und Prinzipien werden bestätigt: Märkte brauchen effektive, kanalisierende Regeln, um stabil und effizient zu funktionieren. Wir Europäer sollten uns auf unsere eigenen wirtschaftspolitischen Grundsätze besinnen. Man braucht nicht in jedem Fall auf angelsächsische Wirtschaftswissenschaftler Bezug zu nehmen, wenn diese einen Ordnungsrahmen für die Weltwirtschaft fordern. Dazu wäre es aber auch nötig, der Ordnungsökonomik, der Ordnungspolitik an europäischen/deutschen Universitäten als eigenständige Disziplin der Volkswirtschaftslehre wieder ihren angemessenen Stellenwert einzuräumen.

Ordnungspolitische Prinzipien weisen auch den Weg zu einem effektiven und nachhaltigen Management der Krise.

  1. [1] Vgl. Abelshauser, Werner (2004): “Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945”, C.H. Beck.

  2. [2] Vgl. Böhm, Franz (1937): „Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung.“ Ordnung der Wirtschaft, 1 (Herausgegeben von Franz Böhm, Walter Eucken und Hans Großmann-Doerth). Stuttgart, Berlin: Kohlhammer.

  3. [3] Vgl. Röpke, Wilhelm (1958): „Jenseits von Angebot und Nachfrage.“, Erlenbach-Zürich: Eugen Rentsch Verlag.

  4. [4] Vgl. Eucken, Walter (1952): „Grundsätze der Wirtschaftspolitik.“, Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck).

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