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Die Bedeutung des Euro für die Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa

Vortrag von Dr. Willem F. Duisenberg, Präsident der Europäischen Zentralbank, beim Prognos-Zukunftsforum 1998, am 23. Oktober 1998 in Basel

Einleitung

In gut zwei Monaten werden elf europäische Staaten gemeinsam ein historisches Vorhaben in die Tat umsetzen. Sie werden ihre nationalen Währungen durch eine einheitliche Währung ersetzen - den Euro. Ab dem 1. Januar 1999 werden die Wechselkurse zwischen den Währungen der elf Teilnehmerstaaten unwiderruflich festgelegt. Gleichzeitig geht die Verantwortung für die Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet auf das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) über, das sich aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzt. Vollendet wird der Übergang zum Euro zu Beginn des Jahres 2002, wenn die nationalen Banknoten und Münzen durch Euro-Banknoten und -Münzen ersetzt werden.

Die Einführung des Euro ist ein gewaltiges logistisches Unterfangen. Die Einführung einer einheitlichen Währung wird zweifellos weitreichende ökonomische Konsequenzen haben, und zwar nicht nur in den Teilnehmerstaaten, sondern auch für das globale Währungssystem. Darüber hinaus stellt sie auch einen wichtigen symbolischen Schritt auf dem langen Weg zur europäischen Integration dar.

In meinem heutigen Vortrag möchte ich mich auf die Bedeutung der Einführung des Euro aus drei unterschiedlichen Perspektiven konzentrieren. Zunächst einmal werde ich mich mit der Frage befassen, wie die Einführung des Euro das wirtschaftspolitische Szenarium in den Teilnehmerstaaten beeinflussen wird. Danach werde ich kurz auf die voraussichtlichen Auswirkungen des Euro auf das Unternehmensumfeld in Europa eingehen. Abschließend werde ich einen kurzen Überblick über die Rolle des Euro im Hinblick auf die Entwicklung der Finanzmärkte in Europa geben.

Der Euro - Die Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik in Europa

Mit dem Beitritt zur Währungsunion wird jeder der elf Teilnehmerstaaten jegliche Möglichkeit zur Gestaltung einer eigenen nationalen Geldpolitik auf Dauer aufgeben. Die Satzung des ESZB bestimmt, daß das vorrangige Ziel der einheitlichen europäischen Geldpolitik darin besteht, die Preisstabilität innerhalb des gesamten Euro-Währungsgebiets zu gewährleisten. Dies bedeutet, daß die Geldpolitik des ESZB in Fällen, in denen ein Mitgliedstaat ein Ereignis zu bewältigen hat, das keine oder nur begrenzte Auswirkungen auf das übrige Euro-Währungsgebiet hat (einem sogenannten “asymmetrischen Schock”), keinerlei Spielraum hätte, darauf in differenzierter, länderspezifischer Weise zu reagieren. Die erforderliche Korrektur müßte daher mittels anderer politischer Variablen erfolgen, zum Beispiel durch finanzpolitische und strukturelle Maßnahmen.

Diese Veränderungen im Handlungsrahmen der teilnehmenden Länder wurden größtenteils jedoch schon frühzeitig auf dem Weg zur Verwirklichung der Währungsunion vorweggenommen. Der Wechselkurs wurde in den meisten teilnehmenden Mitgliedstaaten in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr als ein Instrument nationaler Politik eingesetzt. Die aus früheren Wechselkursturbulenzen in Europa gezogene Lehre ist, daß der aktive Einsatz dieses politischen Instruments in der Regel mehr kostet als nützt, handelt es sich doch um ein “kurzfristiges” Instrument, auf das häufig als Notlösung zurückgegriffen wurde, anstatt die zugrundeliegenden strukturellen Probleme der Wirtschaft anzugehen. Die Wirtschaft gerät nämlich leicht in Abhängigkeit von regelmäßigen Währungsabwertungen, was innerhalb kurzer Zeit zu erneuten Abwertungserwartungen, spekulativen Attacken, geringerer Glaubwürdigkeit und höheren Zinsen führt.

Zur Stärkung der Glaubwürdigkeit und zur Gewährleistung der Lebensfähigkeit der Währungsunion war es deshalb erforderlich, zunächst einen ausreichenden Grad nominaler Konvergenz zwischen den teilnehmenden Mitgliedstaaten zu schaffen. In dieser Hinsicht stellten die für die Teilnahme an der Währungsunion aufgestellten Konvergenzkriterien einen starken Anreiz für die EU-Mitgliedstaaten dar, eine stabilitätsorientierte Politik mit dem Ziel der Erreichung von Preisstabilität und einer höheren Haushaltsdisziplin zu verfolgen. Sie boten ferner einen Anreiz für die Einleitung von Reformen zur Bewältigung der vorhandenen Strukturprobleme. Diese Strukturprobleme waren es nämlich, die die Wachstumsperspektiven vieler europäischer Länder stark beeinträchtigten und die Arbeitslosigkeit auf ein hohes Niveau ansteigen ließen.

Ich bin grundsätzlich der Auffassung, daß ein sehr wichtiger positiver Effekt des Konvergenzprozesses der bemerkenswerte Konsens war, der unter den politischen Entscheidungsträgern und auch in der breiten Öffentlichkeit hinsichtlich der Notwendigkeit der Verfolgung einer soliden makroökonomischen Politik entstand, was bedeutet, daß die Geldpolitik primär auf die Gewährleistung von Preisstabilität und die Finanzpolitik auf die Sicherung eines mittel- und langfristig tragfähigen Haushalts ausgerichtet sein sollte und daß Strukturreformen, insbesondere Arbeitsmarktreformen, zur Erreichung eines dauer-haften, inflationsfreien Wirtschaftswachstums und zur Schaffung von Arbeitsplätzen unerläßlich sind.

Im Rückblick, so meine ich, stimmen wir wohl alle darin überein, daß der Konvergenzprozeß auf dem Wege zur Währungsunion sehr erfolgreich verlaufen ist. Tatsächlich haben sich die Inflationsraten und Zinsen nicht nur angeglichen, sie sind sogar auf ein Niveau zurückgegangen, das aus europäischer Sicht als historischer Tiefstand zu bezeichnen ist. Gleichzeitig sind die Wechselkurse der Währungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten über eine langen Zeitraum hinweg in der Nähe der jeweiligen Paritäten des Wechselkursmechanismus, die den vorab bekanntgegebenen Umrechnungskursen entsprechen, stabil geblieben. Der Konvergenzprozeß war auch für die in den letzten Jahren zu verzeichnende Rückführung sowohl der öffentlichen Haushaltsdefizite als auch der Staatsverschuldung maßgebend, wobei die Erfolge im Haushaltsbereich angesichts der relativ günstigen Konjunktur in Europa allerdings größer hätten sein können.

Insgesamt haben wir einen in Europa noch nie zuvor erzielten Grad nominaler Konvergenz erreicht. Gleichzeitig scheinen auch die Konjunkturzyklen in den Teilnehmerstaaten ein größeres Maß an Synchronität aufzuweisen als zuvor. Diese Entwicklungen haben eine solide wirtschaftliche Basis für die Einführung des Euro geschaffen. Die positiven Auswirkungen dieses Prozesses traten im Zuge der jüngsten Krisen an den Finanzmärkten klar zutage. Die Wechselkurse und auch das Zinsgefälle blieben im gesamten Euro-Währungsgebiet selbst dann weitgehend unverändert, als die Turbulenzen am heftigsten waren. Dies kann als deutliches Zeichen des Vertrauens der Marktteilnehmer in den Euro interpretiert werden.

Allerdings können wir es uns nicht leisten, in unserem Konvergenzbemühungen nachzulassen, sobald die Währungsunion verwirklicht worden ist. Das Gegenteil trifft zu. Um sicherzustellen, daß der Währungs-union auch langfristig Erfolg beschieden wird, ist es notwendig, die strenge Haushaltsdisziplin beizubehalten und verstärkte Anstrengungen zur Umsetzung von Strukturreformen zu unternehmen. Nur so werden sich Spannungen innerhalb des Euro-Währungsgebiets verhindern lassen. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß die im Rahmen des Konvergenzprozesses erzielten Erfolge durch den wirtschaftlichen Aufschwung begünstigt wurden, der sich in den vergangenen 4 bis 5 Jahren auf ganz Europa erstreckte. Die politischen Entscheidungsträger müssen jedoch dafür gerüstet sein zu gewährleisten, daß eine solide makroökonomische Politik auch dann fortbestehen bzw. beibehalten werden kann, wenn das Euro-Währungsgebiet von einem Wirtschaftsabschwung erfaßt werden sollte.

Genau dies hatte der Europäische Rat im Juni 1997 im Sinn, als er den sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakt beschloß. In diesem Pakt sind 3 % des Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Obergrenze für öffentlichen Haushaltsdefizite der am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Staaten vorgesehen. Damit präzisiert der Stabilitäts- und Wachstumspakt die im Maastrichter Vertrag bereits festgelegten Regelungen zur gemeinsamen Überwachung der wirtschaftlichen Entwicklung und das für den Fall eines übermäßigen Haushaltsdefizits in einem oder mehreren der Mitgliedstaaten vorgesehene Verfahren. Darüber hinaus gibt der Pakt den Mitgliedstaaten als Ziel vor, die öffentlichen Haushalte mittelfristig nahezu auszugleichen oder sogar einen Haushaltsüberschuß zu erwirtschaften sowie Korrektur-maßnahmen zur Verhinderung eines übermäßigen Defizits zu ergreifen.

Kritiker wenden zuweilen ein, der Stabilitäts- und Wachstumspakt schränke die Möglichkeiten der Regierungen, einem wirtschaftlichen Abschwung mittels finanzpolitischer Maßnahmen zu begegnen, übermäßig ein. Meiner Ansicht nach handelt es sich hier jedoch um ein völliges Mißverständnis. Tatsächlich ist die strikte Einhaltung der Zielvorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts eine unabdingbare Voraussetzung zur Wiederherstellung eines finanzpolitischen Handlungsspielraums. In den vergangenen Jahrzehnten ließ man es zu, daß automatische Stabilisatoren in Zeiten der Rezession in ganz Europa nahezu ihre volle Wirkung entfalten konnten, während man in Zeiten starken Wirtschaftswachstums nur unzureichende Maßnahmen zur Korrektur der Haushaltssituation ergriffen hat. Deshalb ist die in Prozent des BIP ausgedrückte Staatsverschuldung in den letzten 30 Jahren fast kontinuierlich angestiegen, und zwar auf ein so hohes Niveau, daß es nahezu keinen finanzpolitischen Handlungsspielraum mehr gab. Dies wurde vor allem während der Rezession zu Beginn der neunziger Jahre deutlich, als einige Länder aufgrund der Notwendigkeit der Wiederherstellung des Vertrauens in die Finanzpolitik gezwungen wurden, eine prozyklische Politik zu verfolgen.

Anlaß zur Sorge ist der hohe Grad der öffentlichen Verschuldung insbesondere im Hinblick auf die Herausforderungen, die sich längerfristig daraus ergeben, daß die Menschen in Europa zunehmend älter werden. Die Staatsverschuldung im Euro-Währungsgebiet wird deshalb erheblich reduziert werden müssen, ehe das Instrument der Finanzpolitik wieder wirksam eingesetzt werden kann. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt wurde daher nicht nur aufgrund der Erfordernisse im Hinblick auf die Schaffung der Währungsunion vereinbart. Die impliziten finanzpolitischen Beschränkungen des Pakts wären angesichts des Zustands der öffentlichen Finanzen in der EU in jedem Fall erforderlich gewesen. Wird das mittelfristige Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspakts erreicht, nämlich nahezu ausgeglichene oder einen Überschuß ausweisende Staatshaushalte, würde damit auch genügend Handlungsspielraum geschaffen, um es automatischen Stabilisatoren zu ermöglichen, einen wirtschaftlichen Abschwungs abzufedern, ohne die Defizite der öffentlichen Haushalte über die Höchstgrenze von 3 % des BIP ansteigen zu lassen. Bei aller Anerkennung der Fortschritte, die im Hinblick auf die Stabilitätsorientierung der Politik und das hohe Maß an erreichter nominaler Konvergenz erzielt worden sind, müssen wir aber auch eingestehen, daß die Wirtschaftspolitik bisher weitgehend außerstande war, eines der größten volkswirtschaftlichen Probleme im Euro-Währungsgebiet zu lösen: Die Arbeitslosigkeit ist immer noch inakzeptabel hoch. Trotz eines über einige Jahre hinweg andauernden Wirtschaftsaufschwungs ist sie im Euro-Währungsgebiet nur geringfügig zurückgegangen. Die Einführung des Euro und die Durchführung der einheitlichen Geldpolitik werden für sich genommen kein Allheilmittel für das Problem der Arbeitslosigkeit sein können. Die Geldpolitik ist weder Ursache noch Lösung dieses Problems. Die Arbeitslosigkeit kann vielmehr nur durch Strukturreformen bekämpft werden, die darauf abzielen, die Arbeitsmärkte effizienter zu machen. Ich meine, dieser Schluß liegt auf der Hand, wenn man die Länder Europas miteinander vergleicht. In jenen Ländern, die bereits strukturelle Reformen zur Erhöhung der Flexibilität an den Arbeitsmärkten umgesetzt haben, ist die Arbeitslosigkeit erheblich stärker zurück-gegangen als in jenen, in denen solche Reformen noch ausstehen.

Dem steht nicht entgegen, daß es ein wichtiges Anliegen der einheitlichen Geldpolitik ist, zur Schaffung eines wirtschaftlichen Umfelds beizutragen, das Wachstum und Beschäftigung fördert. Der beste Beitrag, den das ESZB in dieser Hinsicht leisten kann, ist die Gewährleistung der Preisstabilität, vorausgesetzt, daß andere politische Maßnahmen angemessen greifen. Neben diesen makroökonomischen Implikationen kann der Euro in den am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Staaten jedoch auch auf mikroökonomischer Ebene deutlich positive Auswirkungen nach sich ziehen.

Der Euro ­ Die Auswirkungen auf das Unternehmensumfeld in Europa

Es ist in der Tat möglich, daß die mikroökonomischen Konsequenzen der Einführung des Euro im Hinblick auf die Verbesserung des langfristigen Wachstumspotentials und damit der Beschäftigungs-aussichten in den Volkswirtschaften der am Euro-Währungsgebiet teilnehmenden Staaten sogar von noch größerer Bedeutung sind als die makroökonomischen. Allerdings läßt sich das Ausmaß dieser mikroökonomischen Auswirkungen nur schwer vorhersagen. Einige Vorteile der neuen einheitlichen Währung liegen auf der Hand. So ist zum Beispiel offensichtlich, daß die Verwendung einer einheitlichen Währung im gesamten Euro-Währungsgebiet die unmittelbaren Transaktionskosten der grenzüberschreitenden Zahlungen sowohl für die Verbraucher als auch die Unternehmen reduzieren wird. Klar ist auch, daß der Wegfall von Wechselkursrisiken bei Geschäften innerhalb des Euro-Währungsgebiets zu niedrigeren Kosten für die Unternehmen und damit letztlich auch für die Verbraucher führen wird. Vielleicht noch wichtiger ist dabei aber, daß der Wegfall der Wechselkurs-risiken die mit langfristigen, grenzüberschreitenden Investitionen verbundenen Risiken innerhalb des Euro-Währungsgebiets beträchtlich sinken lassen wird. Andere Vorteile sind weniger offensichtlich. Zum Beispiel könnte allein die Tatsache, daß überall dieselbe Währung benutzt wird, kleine und mittlere Unternehmen mit begrenzter Erfahrung im Umgang mit fremden Währungen dazu ermutigen, den Schritt in neue Märkte innerhalb des Euro-Währungsgebiets zu wagen. Dies würde zu einem verstärkten Wettbewerb innerhalb des Euro-Währungsgebiets beitragen. Ein weiterer wichtiger Faktor, der wahrscheinlich zur Förderung des Wettbewerbs innerhalb des Euro-Währungsgebiets beitragen wird, dürfte die Tatsache sein, daß der Euro grenzüberschreitend zu einer höheren Preistransparenz führen wird. Bisher waren die Märkte für viele Arten von Waren und Dienstleistungen, nicht zuletzt auch die für Finanzdienstleistungen, in den einzelnen Ländern unterschiedlich strukturiert. Die Einführung einer einheitlichen Währung wird Preisunterschiede hervortreten lassen und ein weiterer Anreiz sowohl für die Verbraucher als auch für professionelle Einkäufer sein, günstigere Anbieter in einem benachbarten Land zu suchen.

Zusammengenommen dürften all diese Faktoren den europäischen Binnenmarkt für Waren und Dienstleistungen voraussichtlich beträchtlich stärken. Ferner werden sie Unternehmen einen Anreiz bieten, sich innerhalb des Euro-Währungsgebiets durch Errichtung gemeinsamer Niederlassungen sowie durch Fusionen und Akquisitionen zusammenzuschließen. Investoren werden sich künftig bei der Beurteilung von Anlagemöglichkeiten voraussichtlich mehr auf sektor- als auf länderspezifische Entwicklungen konzentrieren. Das grenzüberschreitende Zusammenwirken von Unternehmen wird deshalb zu höherer Effizienz, mehr Wettbewerb und niedrigeren Kosten führen und damit zur Dämpfung des Preisdrucks beitragen. Am deutlichsten dürfte sich dies in jenen Wirtschaftsbereichen auswirken, in denen in den Mitgliedstaaten noch eine starke Segmentierung vorherrscht. In diesem Zusammenhang steht zu erwarten, daß die Auswirkungen der Einführung des Euro wahrscheinlich am deutlichsten und schnellsten im Finanzsektor zu Tage treten werden.

Der Euro - Die Auswirkungen auf die Finanzmärkte in Europa

Die mit der Einführung des Euro verbundenen Auswirkungen auf den Finanzmärkten stehen in einem direkteren Zusammenhang mit den Aktivitäten des ESZB, als dies bei anderen Wirtschaftssektoren der Fall sein wird. Ich möchte deshalb gern näher auf einige Bereiche eingehen, in denen die Geldpolitik des ESZB die Funktionsweise der Finanzmärkte im Euro-Währungsgebiet wahrscheinlich unmittelbar beeinflussen wird.

Erstens: Die Durchführung einer einheitlichen Geldpolitik wird wohl umgehend zu einem völlig integrierten Geldmarkt innerhalb des Euro-Währungsgebiets führen. Ermöglicht wird diese Integration der bestehenden nationalen Geldmärkte durch das sogenannte TARGET-System, über das die nationalen Zahlungsverkehrssysteme im Euro-Währungsgebiet miteinander verbunden werden. Dadurch werden die grenzüberschreitenden Geschäfte der Banken und ihr Zugang zu Euro-Geldern erleichtert. Die Zinssätze innerhalb des das gesamte Euro-Währungsgebiet umfassenden Geldmarkts werden im wesentlichen eher die unterschiedlichen Solvenzrisiken zwischen den teilnehmenden Banken als länderspezifischer Faktoren widerspiegeln.

Zweitens: Zur Förderung der Entwicklung eines integrierten Geldmarkts hat das ESZB einen markt-orientierten Handlungsrahmen für die Durchführung der einheitlichen Geldpolitik erarbeitet. Darin wird regelmäßigen, befristeten Pensionsgeschäfte, die im Tenderverfahren vergebenen werden, ein besonders großes Gewicht eingeräumt. Das Hervorheben des Instruments befristeter Pensionsgeschäfte wird wohl einen Anreiz für die Schaffung eines das gesamte Euro-Währungsgebiet umfassenden Interbanken-Repomarkts sowie zu einem späteren Zeitpunkt eventuell auch eines privaten Repomarkts bieten, in dem Banken und Nichtbanken kurzfristige, mit Wertpapieren besicherte Refinanzierungsgeschäfte im Rahmen ihrer täglichen Liquiditätssteuerung abschließen können.

Drittens: Das ESZB wird ferner ein Mindestreservesystem zur Stabilisierung der Geldmarktsätze und Ausweitung des strukturellen Defizits im Bankensektor einsetzen, wobei ich diesbezüglich unterstreichen möchte, daß das ESZB bei der Errichtung des Mindestreservesystems besonderen Wert darauf gelegt hat, daß dieses mit den Marktgrundsätzen vereinbar ist. So werden die Mindestreserveeinlagen beispielsweise mit dem für das wichtigste Refinanzierungsinstrument des ESZB geltenden Satz verzinst, und die Erfüllung der Mindestreservepflicht berechnet sich nach der durchschnittlichen Höhe der Einlagen über die einen Monat laufende Mindestreserveerfüllungsperiode. Mit diesen Regelungen soll verhindert werden, daß das Mindestreservesystem zu einer Verlagerung von Finanzgeschäften an Finanzzentren außerhalb des Euro-Währungsgebiets führt. Gleichzeitig bieten sie ein Instrument zur Stabilisierung der Geldmarktzinssätze, ohne daß häufige Feinsteuerungsinterventionen seitens des ESZB erforderlich werden.

Viertens: Das ESZB wird ein breites Spektrum von öffentlichen und privaten Wertpapieren als Sicherheiten für seine Kreditoperationen akzeptieren. Es wird seinen Geschäftspartnern ferner die Möglichkeit zur grenzüberschreitenden Hinterlegung von Sicherheiten innerhalb des Euro-Währungsgebiets einräumen. Dieser Ansatz dürfte wahrscheinlich zu positiven Impulsen im Hinblick auf die Entwicklung von Märkten für private Wertpapiere, die Portefeuillediversifizierung innerhalb des gesamten Euro-Währungsgebiets und die Integration der Kapitalmärkte führen.

Fünftens: Die Integration der Finanzmärkte wird auch von den Aktivitäten des ESZB zur Harmonisierung von Konventionen und Standards bezüglich der Marktpraktiken in dem das gesamte Euro-Währungsgebiet umfassenden Geldmarkt profitieren. Zweifellos ist der Beginn der Währungsunion ein großer Schritt in Richtung auf eine generelle Harmonisierung der Marktpraktiken in der EU, die zu gegebener Zeit auch andere Marktsegmente wie zum Beispiel die Renten- und Aktienmärkte erfassen wird. Eine solche Harmonisierung wird allgemein zu einer effektiveren Preisbildung führen und zur Schaffung effizienterer Finanzmärkte beitragen.

Grundsätzlich könnten zunehmend integriertere Geld- und Kapitalmärkte die Entstehung von Märkten für “Commercial Paper” und Unternehmensschuldtitel im Euro-Währungsgebiet fördern. Ein auf Staatsanleihen basierender “Benchmark” (Referenzwert), zunehmende Größenvorteile, engere Spannen zwischen Brief- und Geldkursen, niedrige Kosten für die Absicherung von Schuldtiteln privater Unternehmen und ein verstärkter Wettbewerb im Emissionsgeschäft dürften voraussichtlich positive Anreize für Unternehmen darstellen, eigene Anleihen zu emittieren anstatt Kredite bei Banken aufzunehmen, während Anleger auf der Suche nach attraktiven Renditen solche Wertpapiere interessant finden werden. Auch die Emission von Aktien bzw. der Handel mit Aktien könnte zur gegebenen Zeit das gesamte Euro-Währungsgebiet umspannen.

Die Implikationen der Einführung des Euro in bezug auf die Entwicklung der europäischen Finanzmärkte dürften insgesamt zu einer stärkeren und effizienteren Mobilisierung von Sparguthaben bzw. zur Umleitung dieser Guthaben in produktive Anlageformen führen. Auf lange Sicht wird sich dies positiv auf das Wachstumspotential innerhalb des gesamten Euro-Währungsgebiets auswirken.

Schlußbemerkungen

In meinem heutigen Vortrag habe ich mich bemüht, einige der wichtigsten Argumente für die Einführung der einheitlichen Währung aus drei unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, nämlich aus “makroökonischer” Sicht, aus “mikroökonomischer” Sicht und aus Sicht der “Finanzmärkte”. Ich bin mir allerdings bewußt, daß die Bemühungen um Integration in Europa nicht nur mit derartigen wirtschafts- und finanzspezifischen Argumenten begründet werden dürfen. Von noch größerer Bedeu-tung ist der dem allgemeinen Streben nach europäischer Integration zugrundeliegende politische Wunsch nach Sicherung des Friedens und der Stabilität in Europa. Ich bin davon überzeugt, daß die Einführung des Euro einen überaus wichtigen Schritt auf diesem Wege darstellt und daß das mit der Gewährleistung der Preisstabilität betraute ESZB dazu beitragen wird, Wohlstand, Stabilität und Frieden in Europa zu sichern. Mit dieser Vision vor Augen darf ich Ihnen versichern, daß das ESZB jede Anstrengung auf sich nehmen wird, um einen reibungslosen und erfolgreichen Start des Euro am 1. Januar 1999 zu gewährleisten

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